Free for free

Das neue Buch von Wired-Chefredakteur Chris Anderson ist ab morgen erhältlich, physisch. „Free: The future of a radical Price“ ist als Hörbuch, also als Datei kostenlos im Netz zu bekommen. Das ist konsequent. War aber auch irgendwie zu erwarten. Das Werk wird sicher ebenso zu einem Standardwerk in der neuen Welt werden wie „The Long Tail“.

Ich habe es bei Amazon gerordert und werde mich gebührend dazu auslassen. Hier spricht aber erstmal der Meister persönlich:

Flattr this!

Ausbildung und dann?

„Bringen Sie Farbe in Ihre Karriere und füllen Sie den Bewerberbogen aus“: Das steht in der Anzeige, die für ein Volontariat bei den G+J Wirtschaftsmedien wirbt. G+J Wirtschaftsmedien? Das ist doch der Zusammenschluss von FTD, Capital, Impulse und Börse Online? Zentralredaktion? Stellenabbau? Ganz richtig, auf die Volo-Ausbildung will man also nicht verzichten. Löblich, könnte man meinen. Es gibt zudem sicher schlechtere Ausbildungsbetriebe für Wirtschaftsjournalisten/-redakteure.

Aber was geschieht nach der Ausbildung? Der Beruf des Journalisten ist wie kaum ein zweiter Beruf von der disruptiven Wirkung des Internets betroffen. Der Journalismus befindet sich in einer Sinnkrise – jeder einzelne Journalist, wenn er ehrlich ist, ebenso. Kann man jungen Leuten den Schritt in den professionell betriebenen Journalismus guten Gewissens empfehlen?

Wie sieht das Ganze aus Sicht der ausbildenden Verlage aus? Volontäre sind super für die Unternehmen. Sie sind billig, einsatzbereit, meist gut vorgebildet. Sie neigen zur Selbstausbeutung – dann muss das der Arbeitgeber nicht machen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Aussichten für junge Redakteure nicht gerade rosig sind, werden sie sich im Job noch mehr engagieren. Zudem können die Verlage heucheln: Wir tun doch etwas für die jungen Leute, indem wir sie ausbilden. Im Falle der ausgeschriebenen Volontariate wird das Interesse riesig sein. Also: Irgendwo sind die jungen Leute auch selbst schuld, wenn sie sich in die Sinnkrise stürzen wollen. So kann man es eben auch sehen.

Der Markt ist voll von Journalisten mit viel Erfahrung, guter Ausbildung und großem Fachwissen. Es sind viel mehr Journalisten unterwegs als benötigt werden. Ich finde, es wäre konsequent und ehrlicher, wenn die Verlage zusätzlich zu Einstellungsstopps auch Ausbildungsstopps verkünden würden. Eine Ausbildung heute kann noch so gut und umfassend sein – am Ende wird sie aber am Bedarf vorbei erfolgen. Nicht nur quantitativ gibt es ein Ungleichgewicht, auch qualitativ passt einiges nicht zusammen. So sind wir heute nur ganz vage in der Lage zu sagen, was der Durchschnitts-Journalist in fünf Jahren arbeiten wird. Klar ist: Der reine Print-Redakteur wird eine Ausnahme-Erscheinung werden. Ist es dann sinnvoll, sich zu einem Print-Journalisten ausbilden zu lassen?

Flattr this!

Autojammer

Noch profitieren einige Autohersteller von der Abwrackprämie – von den deutschen Herstellern sind es wohl nur Opel und VW -, und trotzdem fängt schon jetzt das öffentliche Gejammer an, dass die Abwrackprämie unter dem Strich keine große Hilfe für die Autobauer sein dürfte.

Ist ja toll: Experten haben von Anfang an auf die Problematik hingewiesen, dass eine künstliche Nachfrage generiert wird, die zu einer Enthaltsamkeit der Autokäufer in den kommenden Jahren führen wird. Das hätten Politik und Wirtschaft also schon früher in ihre Überlegungen mit einbeziehen können.

Ja, die Abwrackprämie ist keine große, nachhaltige Hilfe für die Autobauer. Beim einzelnen bleibt die Erkenntnis zurück, dass er dem Nachbarn mit seinen Steuergeldern die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs finanziert hat. Ist ja wirklich toll.

Wirtschaftskrise hin oder her: Die Automobilbranche hat ein strukturelles Problem. Der Lauf der Dinge sieht vor, dass dieser Industriezweig weiter schrumpfen muss. Wenn Staaten keine Hilfen mehr ausspucken wollen oder können, ist es vorbei für den einen oder anderen Hersteller von Autos. Das müssen leider auch die Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig verstehen. Schließlich ist diese Branche nicht die einzige, die vor heftigen Umwälzungen steht.

Spannend bleibt die Frage, wer sich schließlich durchsetzen wird. Die Geschichte von Industrie und Technik zeigt, dass sich nicht immer die besten Produkte durchsetzen. Finanzkraft spielt neben anderen Dingen sicher ein große Rolle. Aber vielleicht – und das wäre zu hoffen – haben doch innovative Ansätze wie alternativen Antriebstechniken am Ende das zeug dazu, sich gegen schiere Größe durchzusetzen. Da sind Unternehmer und mutige Investoren gefragt. Dann haben vielleicht die Hersteller mit mutmaßlich zu geringen Stückzahlen doch noch eine Chance sich gegen die Großen der Branche durchzusetzen.

Flattr this!

Rote Erosion

Ein lokales Beispiel zeigt ganz gut, wie es um die SPD im Vorfeld der Bundestagswahl bestellt ist. In „Schilda“ Darmstadt hat bis gerade eben noch eine Ampelkoalition regiert. Vorgestern habe die Grünen die ganze Sache platzen lassen. Sie wollten nicht mehr dem Koalitionszwang gehorchen und die Hand für das äußerst umstrittene Projekt Nordostumgehung heben.

Jetzt gibt es Schuldzuweiseungen – das typische politische Spielchen eben. Aber darum geht es gar nicht. Für die Presse und die Bürger ist das ein Zukleisterthema. Tatsächlich bringt man sich mit dem Platzenlassen der Koalition in Position. Das hat die FDP in den vergangenen Monaten im Stadtparlament gemacht. Jetzt machen es die Grünen – die übrigens bei der Europawahl stärkste Kraft in der südhessischen Stadt geworden sind. Beide Koalitionspartner haben versucht, Profil zu gewinnen – und damit der SPD heftig geschadet.

Die Sozialdemokraten geben in Darmstadt den von anderen politischen Ebenen bekannten Hühnerhaufen ab, dem starke Persönlichkeiten fehlen. Darmstadt ist eigentlich sozialdemokratisch rot. Aber die Tendenz ins Grüne hat mittlerweile auch schon Tradition.

Jetzt ist man drauf und dran auch in der einstigen Hochburg seine Felle den Darmbach davon schwimmen zu sehen. Die Partei ist profillos geworden. Wichtige Themen auf kommunaler Ebene hat man mit OB Walter Hoffmann an der Spitze nicht in den Griff bekommen. Die Kommunalwahlen stehen 2011 an. Bis dahin könnte die SPD auf den dritten Rang – oder für die Genossen noch schlimmer – auf den vierten Rang in Darmstadt zurückfallen.

Flattr this!

Kabelhölle

Es wird einmal Zeit ein paar Worte über den Kabelnetz-Betreiber Unitymedia zu verlieren. Hier zeigt sich wie weit entfernt vertriebsorientierte Unternehmen vom Kunden sein können.

Zum Glück gehört Fernsehen für mich nicht mehr zu den lebensnotwendigen Dingen. Die Zeit mit und für die Glotze ist beschränkt. Mit ist auch schleierhaft, wie jemand nur glücklich sein kann, wenn er die Wahl aus 300 Programmen hat. Okay, es werden viele Nischen besetzt – ist auch irgendwie Long Tail.

Ich habe einen digitalen Kabelanschluss – und stehe noch dazu. Mir sind die digitalen Programme der öffentlich-rechtlichen Sender wichtig. Überhaupt ist der Fernsehkonsum in unserem Haushalt zu 98% öffentlich-rechtlich – auch dazu stehe ich.

Nun zu Unitymedia: Im Schnitt flattern sicher fünf Werbeschreiben pro Monat dieses Unternehmens in unseren Briefkasten. Verkauft werden sollen neue digitale Programmpakete oder Telefon und Internet via Kabel. Zeitweise gab es auch Telefon-Terror. Die Vertriebsmannschaft will den Leuten Zeug aufschwätzen, das sie gar nicht wollen.

Das alles wäre noch mehr oder weniger zu verschmerzen, wenn wenigstens der Service und die Qualität der Leistung stimmen würde. Allerdings ist das Unternehmen noch nicht einmal in der Lage, Signale in die Haushalte zu bringen, die dauerhaft vernünftigen, digitalen Fernsehgenuss ermöglichen. Die Signale der Abo-Programme sind gut bis perfekt. Aber das interessiert mich nicht. Ich will schlicht und einfach, dass die Qualität des Produktes, das ich bezahle, in Ordnung ist.

Natürlich habe ich auch schon mit Call Center Agents gesprochen. Aber: Entweder man kommt nicht an die richtigen Leute, oder es passiert nichts – bis zur nächsten Programmverschiebung. Wenn man Glück hat, ist eine Verbesserung der Signalqualität inkludiert – wenn man Pech hat, wird alles noch schlimmer. Dazu kommt noch, dass der Digitalreceiver, der von Unitymedia zu Verfügung gestellt wird, eine äußerst mäßige Qualität hat. Er hängt sich ständig auf.

Wäre ich ein TV-Junkie, würde mich wahrscheinlich das gleiche Schicksal ereilen. So bleibt mir nur, bei nächster Gelegenheit auf Satellitenempfang umzuschalten.

Flattr this!

Quelle von Strudel bedroht

Nach zähem Ringen hat sich die Politik nun doch dazu durchgerungen, dem Versandhaus Quelle einen Massekredit zu gewähren. Die 50 Millionen Euro seien notwendig gewesen, um den sofortigen Exitus zu verhindern, heißt es. Die EU hat dem Ganzen stattgegeben.

Okay, das rasche Ende ist verhindert – aber wie nachhaltig kann die Hilfe sein? Der Universalversand ist in der Krise. Das ist gar kein neues Phänomen. Alles unter einem Dach ist bei den Warenhäusern passé und bei den Versendern wahrscheinlich auch. Neckermann.de, schon vor geraumer Zeit aus dem Arcandor-Konzern faktisch herausgeschält, dümpelt vor sich hin. Überraschend war die Meldung, dass schon im nächsten Jahr schwarze Zahlen geschrieben werden sollen. Und jetzt Quelle.

Nennenswert ist in diesem Kanon eigentlich nur noch Otto. Die Otto-Gruppe steht vergleichsweise gut da. Mit dem Universalversand unter der Marke Otto hat das am wenigsten zu tun. Diversifikation ist eines der Stichworte. Der Konzern schreckt vor stationären Geschäften nicht zurück, geht Joint Ventures (in der Vergangenheit unter andere mit Zara) ein. Das Internet wird aktiv beackert. Zahllos sind die E-Commerce-Unternehmen, die zur Otto-Gruppe gehören. Entweder man macht es selbst (Yalook) oder man kauft hinzu (Limango ). Ebenfalls ein Schritt in eine erfolgversprechende Zukunft ist der Aufbau von Logistik-Dienstleistern unter der Dachmarke Hermes. So kann der Konzern auch davon profitieren, dass im E-Commerce andere erfolgreich – und vielleicht sogar erfolgreicher als die eigenen Töchter – sind. Das gilt für das Lagergeschäft wie für den Versand.

Universalversand und der Long Tail schließen sich quasi aus. Man versucht, sich als allumfassende Plattform zu etablieren, auf der auch andere ihren Waren anbieten können. Augenscheinlich funktioniert das nicht – und gefragt ist es vermutlich auch nicht. Vielmehr sind es die vielen Spezialisten mit ihren Spezial-Shops im Netz, die ihre Kundschaft finden und richtig ansprechen. Die Mega-Tanker aus der alten Welt, denen das Drucken der Kataloge so wichtig ist, haben nicht die richtigen Rezepte parat. Es fehlt auch an der richtigen Denke.

Ich muss leider wieder den Vergleich zu Medienwelt ziehen. Dort ist das Problem dasselbe. Die Bedrohung allerdings ist dort weit größer, da dort geistige bzw. mutmaßlich kreative Waren verkauft werden müssen. Sie sind viel flüchtiger und reproduzierbarer als Produkte, die man anfassen kann.

Die Zeit von Großkonzernen der alten Welt ist vorbei – das gilt ganz besonders für alle Bereiche der Wirtschaft, in denen das Internet ein besondere Rolle spielt. Und das ist im Handel zweifelsohne so.

Wie soll mit diesen Vorzeichen Quelle gerettet werden? Es ist quasi nicht möglich. Es kommt nicht von ungefähr, wenn Otto-Chef Hans-Otto Schrader davon spricht, dass Quelle nicht sanierungsfähig ist. Er hat kein Interesse an einer Übernahme. Aus den sogenannten Spezialversendern, die auch zum Arcandor-Konglomerat gehören, würde er sich gern die Rosinen rauspicken. Soweit ist es aber noch nicht. Das Phänomen Long Tail hat er auf jeden Fall verinnerlicht – das ist sein Vorteil. Auf jeden Fall hat er keine Lust, sich an Quelle zu vergiften.

Flattr this!

Der King ist tot

Ja, der King of Pop ist tot. Ja, er hat eine Phase der Geschichte der Pop-Musik mitgeprägt. Ja, er hat einige ganz unterhaltsame Pop-Songs interpretiert. Punkt.

Michael Jackson ist gestorben – und die Medien laufen Amok. 50 Jahre alt ist er nur geworden. Es war ja noch so jung. Er war doch allein für die Erziehung seiner drei Kinder verantwortlich. Es ist alles so unerwartet.

Der Mann war krank. Psychisch, körperlich. Er hat Raubbau an seinem Körper getrieben. Jetzt sprechen die „Fachleute“ von einem unerwarteten Ereignis. Herzstillstand. Zuletzt hieß es, es könnte Medikamentenmissbrauch im Spiel sein. Das sagt doch schon alles. Wahrscheinlich ist er mit dem Stress nicht klar gekommen. Schließlich wollte er ein großes Comeback auf der Bühne feiern. Daraus wird jetzt nichts – und in einem Jahr findet das ach kaum einer noch schlimm.

Am meisten widert mich an, dass jetzt ein Mythos vom alleinerziehenden fürsorglichen Vater zusammengebastelt wird. Wer’s glaubt, wird selig. Ich sage nur Neverland-Ranch und Affenliebe.

Ich hoffe, dass das Thema schnell wieder aus den Medien verschwindet. Die Radiosender sollen ein paar mehr Jacko-Songs spielen und sich das Gelaber sparen.

Gestern hat sich auch an einer anderen Geschichte der Medien-Wahnsinn gezeigt. In allen Nachrichtensendungen stand der Verlust des Weterbetitels des Dresdner Elbtals ganz oben auf der Agenda. Das ist eigentlich nicht mehr als eine Nachricht. Aber ARD und ZDF haben daraus ein Drama gemacht. Lächerlich. Ein Ziel wurde erreicht: Harte Berichte wie zur Wirtschaftskrise oder der Lage in Iran wurden zugekleistert. Soviel zum Thema Agenda Setting.

Flattr this!

Shoppen in der alten und der neuen Welt

Ich war heute auf einem E-Commerce-Kongress. Kongresse und Messen sind im Moment eigentlich eher traurige Veranstaltungen. Die Wirtschaftskrise fordert ihren Tribut, die Stimmung ist meist schlecht. Wer an der nur vorgegaukelt unbeschadeteten Fassade kratzt, findet immer die gleiche Wahrheit vor: Alle Unternehmen haben es schwer.

Heute war das anders. E-Commerce ist in der schwächelnden Handelsbranche ein Wachstumsfeld. Wer sich mit dem Vertriebskanal Internet beschäftigt oder dort schon aktiv ist, ist bei diesem Thema in der Regel guter Laune. Die Dienstleister und IT-Anbieter haben auch ihren Spaß. Die Geschäfte brummen.

Klar ist aber auch, dass durch das stärker werden des Vertriebskanals Internet nicht unbedingt mehr Waren verkauft werden. Es handelt sich vielmehr um eine Verlagerung. Wer das erst mal begreift, stellt fest, das es sich hier nicht nur um irgendein neues Einkaufsverhalten handelt, sondern eine einschneidende Veränderung der Gesellschaft – beim Shoppen manifestiert sie sich genauso wie im Medienkonsum. Wir erleben eine Veränderung, die eine Welt schafft, in der nichts mehr so ist wie es einmal war.

Diese Veränderungen sind es auch, die das Ende der Warenhaus-Ära bewirken. Ich erinnere mich noch an den großen Start von Karstadt in den E-Commerce vor ungefähr zehn Jahren. Millionen wurden versenkt, um das Shopping-Portal My World einzuführen. Es ist gnadenlos gefloppt. War Karstadt etwa zu früh mit diesem Thema dran? Eigentlich nicht. Der Zeitpunkt war gut. Nur war es nicht ganz schlau, Konkurrenz beispielsweise zu den Unternehmens-Schwestern Quelle und Neckermann aufzubauen, in denen das Know-how des Distanzhandels gebündelt war. Das hat man vielleicht auch gemerkt und dann das Grab für My World geschaufelt. Millionen verbrannt? Na und!

Die großen Einzelhändler sind meiner Meinung nicht in der Lage, an dem E-Commerce-Boom zu partizipieren. Auch Galeria Kaufhof ist ja mit einem Online-Shop unterwegs. Ob das funktioniert, also rentabel ist, weiß man nicht. Möglicherweise sieht man das Ganze eher als Marketing-Maßnahme.

Fakt ist: Neben den Markenanbietern mit ihren eigenen Online-Shops sind zahlreiche neue Player auf den Markt gekommen – teilweise auch mit neuen und frischen Handels-Ideen. Die dicken Tanker der alten Offline-Shopping-Welt haben nicht die Innovationskraft, durch die Decke gehende neue Konzepte rentabel zu machen. Blockaden in Strukturen und Köpfen sind dafür verantwortlich. Auch hier gibt es übrigens wieder eine Analogie zur Verlagswelt.

Interessant ist, wie sich in dieser Gemengelage ein Versandhandelsriese wie Otto behaupten kann. Die Erfahrungen im Distanzhandel bilden eine gute Basis. Zudem sind Projekte wie der Online-Shop Yalook, der demnächst an den Start gehen wird, vielversprechend. Dieses Konzept wie auch smatch.com, das auch zur Otto Gruppe gehört, machen Hoffnung, dass dem Traditionsladen die Metamorphose gelingt.

Die Rolle des nicht- oder nur gering-filialisierten Facheinzelhandels in der neuen Shopping-Welt ist auch noch nicht endgültig definiert. Für die einen mag es sinnvoll sein, seine Marke über einen begrenzten Raum hinaus zu nutzen und Ware im Netz anzubieten. Für den anderen – und darunter dürfte der Großteil der Einzelhändler fallen – ist es wahrscheinlich sicherer, wenn er sich auf seine Kompetenzen besinnt und die Kunden in seinen Laden lotst und ihm dort das bestmögliche Einkaufserlebnis mit Beratung, Service und persönlicher Ansprache angedeihen lässt. Andererseits: Die Einstiegshürde in E-Commerce ist einigermaßen niedrig. Wer Spielgeld übrig hat, kann es versuchen und zur Not dann auch wieder einstellen.

Die Umwälzungen sind gigantisch. Wie schnell die Welt sich dreht, zeigt auch die neue Ausgabe des Time-Magazins, die ich nur wärmstens empfehlen kann. Die Doppelausgabe beschäftigt sich mit dem Jahr 1989. In der Rückschau wird deutlich, wieviele nachhaltige Entwicklungen damals ihren Anfang nahmen: Die Pulverisierung des Eisernen Vorhangs, die Erfindung des Internet oder das Ende der Apartheid.

In fünf oder zehn Jahren wird schon wieder vieles neu sein: Manifestieren wird sich das auch in der Art und Weise des Shoppens in der neuen Welt.

Flattr this!

Manifest der Männerbewegung

Dieses Sammelwerk hat das Zeug zu einem Manifest der Männerbewegung. Befreiungsbewegung für Männer: Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie, herausgegeben von Paul-Hermann Gruner und Eckhard Kuhla, liefert eine Bestandsaufnahme, wie es um die Männerbewegung in Deutschland bestellt ist – das Fazit ist keineswegs positiv. Viel zu sehr, so Gruner in seinem Auftaktaufsatz „Männer und die Mündigkeit zur Selbstbefreiung – Das Ende des weiblichen Geschlechtermonologs“ steckt der Mann in einer sozialen Zwangsjacke fest. Er gefällt sich in der Rolle des Feministen und kommt nicht aus dem Quark. Damit ist er allgemein akzeptiert: „Der Feminist ist der erlaubte Mann“, schreibt Gruner.

Paul-Hermann Gruner        Von passionpapa

Das Buch mit seinen Aufsätzen, Analysen und Essays hat einen kämpferischen Kern – bleibt aber dem ernsthaften Anliegen entsprechend sachlich. Als Autoren fungieren nicht nur bewegte Männer, auch Frauen kommen zu Wort. Das Ziel des Buches ist eine Neubewertung der Männerrolle. Erreicht werden soll es mit zahlreichen Erkenntnissen von unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen.

Die Herausgeber warnen davor, das opulente Werk einfach nur als Rezeptbuch für das Etablieren einer Männerbewegung zu verstehen. In einer kurzen EInführung heißt es: „Die Bewegung benötigt die Analyse einzelner wichtiger Bausteine des Gebäudes, die Ausleuchtung seiner wesentlichen Funktionsdefizite und Dunkelzonen sowie das Herausarbeiten von Reparaturmöglichkeiten, das Ausdeuten von Modulen oder Aggregaten, die im Gebäude ersetzt werden müssen, um damit dessen Wohn- und Lebensqualität maßgeblich zu erhöhen.“

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben Gruner und Kuhla das Buch sinnhaft in vier große Kapitel gegliedert. In Teil I (Ideologiekritik und Männerperspektive(n)) zeigt Gregor Amendt „den Weg der weltanschaulichen Risiken und Nebenwirkungen auf, den der Feminismus in seiner ‚misandrischen Alltagsroutine‘ genommen hat. Karin Jäckel setzt unter anderem „die feministische Formel ‚Mein Bauch gehört mir‘ und den verfassungsrechtlich und gesetzlich abgesicherten Frauen- und Mutterschutz in Zusammenhang mit der Verherrlichung, ja Heroisierung der alleinerziehenden Mutter in unseren modernen Gesellschaften“. Karl-Heinz van Lier beschäftigt sich mit dem Phänomen und den Konsequenzen des Gender Mainstreaming, das für ihn schließlich nur ein Instrument der Diskriminierung ist. Susanne Kummer „befragt das Spannungsfeld von Psychologie und Biologie, von Natur und Kultur in Verknüpfung mit der Geschlechterfrage“. Astrid von Friesen nimmt sich der weiblichen Gefühllosigkeit gegenüber den in familienrechtlichen Streitfällen entsorgten Vätern an.

Auftakt zu Teil 2 (Macht & Ohnmacht) bildet ein Aufsatz von Arne Hoffmann, der die Mär von der Lohn- und Geschlechterungerechtigkeit am Arbeitsmarkt unter die Lupe nimmt und sie anhand zahlreicher Daten widerlegt. Im Gespräch mit Sozialforscher Klaus Hurrelmann steht die Gewaltneigung der von Benachteiligung betroffenen Jungs im Fokus. Einer seiner Lösungsansätze: Die Teilaufgabe der Koedukation und damit eine gezielte Jungen-Förderung. Beate Kricheldorf räumt mit dem Vorurteil auf, dass häusliche Gewalt einzig vom Mann ausgeht. Buchautorin Christine Bauer-Jelinek sagt im Gespräch, dass es dem Feminismus gelungen sei, sich als Weltanschauung durchzusetzen. In einem zweiten Aufsatz beschäftigt sich Arne Hoffmann mit der Verwechslung von natürlichem und grammatischem Geschlecht. Er wendet sich gegen solche scheindemokratischen Dopplungen wie Bürger und Bürgerinnen.

„Männer und Männlichkeiten“ ist der dritte Teil des Buches überschrieben. Dort widmet sich Matthias Stiehler zunächst den Themen Männergesundheit und Gesundheitsrisiken von Männern. Marc Luy hat das Phänomen untersucht, dass Mönche hinter ihren Klostermauern länger leben als Männer in der freien Wildbahn des normalen Lebens. Hans-Joachim Lenz beschäftigt sich in seinem Aufsatz unter anderem mit der kulturellen Verdrängung männlicher Verletzbarkeit. Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer berichtet aus der Praxis, wie Ehemänner an die ihnen im Zeitverlauf fremd werdenden Einheit Frau und Kind scheitern.

Um „Initiation, Initiative&Bewegung“ geht es im vierten und letzten Teil des Werkes. US-Männerrechtler Warren Farrell sieht die Gesellschaft „in einer Transitionsphase, einer Periode des labilen Übergangs in eine Zeit, die für beide Geschlechter bessere und befriedigendere Konstruktionsmerkmale bieten muss“, wie es in der Einleitung des Buches heißt. Claudia ischer weist daraf hin, dass die für männlichen Jugendlichen Initiationsrituale besonders wichtig wären, in unserer Zeit aber nicht mehr den gebührenden Platz einnehmen. Als Ersatz können sich beispielsweise Videospiele etablieren. Markus Theunert skizziert den Weg in eine andere, Männern gerechter werdende Rollenzunft. Psychologe Martin Verlinden rückt die Vaterschaft in den Fokus. Er betont vor allem auch ihre lustvollen und witzigen Seiten. Es geht ihm auch stark um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mitherausgeber Eckhard Kuhla liefert abschließend einen Einblick in die Niederungen des politischen Alltags. Mit seiner Idee der Frauenbeauftragten einer Kommune einen Männerbeauftragten zur Seite zu stellen erntete er nicht nur Verständnis.

Nach diesem ersten Überblick sollen in den kommenden Wochen einzelne Aspekte aus dem Buch hier noch genauer vorgestellt und dann hoffentlich auch diskutiert werden. Als nächstes steht ein Interview mit Mitherausgeber Paul-Hermann Gruner auf dem Plan.

„Befreiungsbewegung für Männer: Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie. Essays und Analysen.“, Paul-Hermann Gruner und Eckhard Kuhla (Hrsg.), 410 Seiten, ist im Psychosozial Verlag erschienen und kostet 29,90 Euro.

Flattr this!

Der Soundtrack zur Krise

Der Titel der Platte macht deutlich: Hier handelt es sich um einen Soundtrack zur Krise. „Black Clouds & Silver Linings“ heißt das neue Album der Progressive-Metal-Combo Dream Theater. Normalerweise ist das Quintett am besten, wenn es hart, schnell und komplex ist. Die beiden ersten Attribute sind in diesem Fall eher die Ausnahme.

Das mag man bedauern, aber man muss eben auch wieder einmal ganz genau hinhören, um die Stärken des Songwritings und der Arrangements zu entdecken. Die klassichen Einflüsse haben im Vergleich zu den Vorgänger-Alben meiner Meinung nach wieder zugenommen. Auffällig sind auch die Remineszenzen an Art Rock a la Yes und Pink Floyd (5 The Best of Times,6 The Count of Tuscany). Dazu kommen noch Zitate aus früheren Scheiben wie bei The Shattered Fortress (4).

Absolute Höhepunkte der Platte sind der Opener (A Nighmare to Remember) und The Shattered Fortress. Nummer 2 (A Rite of Passage) ist ein radiotauglicher Midtempo-Hammer. Wither (3) und The Best of Times lassen es eher ruhiger angehen. Dort erhält das Hymnische für meinen Geschmack etwas zu viel Raum. Der letzte Song (The Count of Tuscany) hat dann wieder das Epische und Abwechslungsreiche, was viele Dream Theater Fans an ihren Helden lieben.

Großartig ist aus meiner Sicht, dass neben der klassisch ausgebildten Stimme von James LaBrie, die auch schon einmal nerven kann, auch Drummer Mike Portnoy wieder ins Mikro gröhlen darf (Beispiel: Mittelteil von A Night to Remember). Das ergibt einen guten Kontrast und unterstützt die Wechsel von langsam und schnell, Moll und Dur, schräg und geradlinig.

Die Keyboards von Jordan Rudess sind ebenfalls wieder herausragend in Szene gesetzt. Die Klangteppiche dienen dem Zusammenhalt der Songstrukturen. Wenn er dann aber einmal losgelassen wird, dann zaubert er auch schon einmal ein derart abgefahrenes Solo aus den Boxen wie in A Rite of Passage. Mike Portnoy und Basser John Myung bilden eine Rhythmus-Einheit, wie sie sich West- und Ostdeutschland vielleicht wünschen, wahrscheinlich aber nie erreichen werden. Gitarrist John Petrucci kann zwar auch futteln – zum Großteil ordnet er sich aber brav den Songs unter. Auffällig sind die Gitarrensounds, die auch an die guten alten Zeiten des Hardrock und des Art Rock erinnern. Er kann’s auch bluesig.

Dass Dream Theater Anhänger dieser Musikrichtungen sind, wird besonders auf der zweiten Scheibe der 3 CD-Special-Edition deutlich. Sechs Cover-Songs hat das Quintett dort draufgepackt. Darunter Titel von Rainbow, Dixie Dregs, Queen und Iron Maiden. Dort manifestiert sich nochmals die ganze Spielfreude der Band, die auch nach 22 Jahren ungemindert scheint. Meine persönlichen Favoriten sind To Tame a Land von Iron Maiden und Stargazer von Rainbow. Die dritte Scheibe beinhaltet nochmal die Songs des neuen Albums als Instrumental-Versionen. Das dürfte vor allem jene freuen, denen James LaBrie und dessen Stimme irgendwann auf den Zeiger geht.

Bis auf Wither kommen die Songs wieder einmal smphonisch daher. Der Opener ist ein Gesamtkunstwerk in über 16 Minuten. The Count of Tuscany schafft es gar auf über 19 Minuten. Wer sich allein diese beiden Titel anhört, der merkt, dass die Krise nur ein Bestandteil des Lebens ist. Der Rest besteht aus Silberstreifen am Horizont.

Auf einer Skala von 1 (unterirdisch) bis 10 (intergalaktisch) bekommt die Scheibe 8 Punkte. Es fehlt mit etwas an Härte – und das Balladeske erhält zu viel Raum.

Flattr this!