Kanzlerkandidaten-Exegese

Ich bleibe dabei: Man nimmt es ihm nicht ab. Frank-Walter Steinmeier hat beim SPD-Parteitag ein kämpferische Rede gehalten, wie es die Kommentatoren in Zeitung, Funk und Fernsehen dann immer nennen. Die Zeitungen sind voll von Kanzlerkandidaten-Exegese. „Ich will Kanzler aller Deutschen werden“ wird dann als Machtanspruch gedeutet. Ach so. Da hat also die SPD tatsächlich einen Kanzlerkandidaten gekürt, der Machtanspruch hat. Entschuldigung, aber so blöd können noch nicht einmal Sozialdemokraten sein, einen Kandidaten zu küren, der keine Lust auf das angestrebte Amt hat.

Steinmeier ist einfach kein richtiger Sozi. Eigentlich ist er auch kein guter Redner. Am Sonntag ist er tatsächlich über seinen Schatten gesprungen. Es ist wohl sogar so, dass er frei gesprochen hat. Augenzeugen zufolge sollen die Delegierten im Saal kurzzeitig tatsächlich gedacht haben, dass die SPD mit Blick auf die Bundestagswahl noch nicht geschlagen ist. Ein Traum in Rot.

Immerhin liegt jetzt einmal ein Wahlprogramm auf den Tisch, das durchaus einige Akzente setzt. Die Union ist das noch schuldig. Angesichts der Wirtschaftskrise müssen sicher langfristige Ziele nochmals überdacht werden. Mal sehen, was am Ende dabei herauskommt.

Auch bei der FDP darf man interessiert auf das fertige Papier warten. Die Liberalen stehen wie keine andere Partei für das „weiter so wie bisher“. Umso erstaunlicher ist es, dass die Liberalen sogar in Zeiten, in denen laut nach beispielsweise einer Regulierung des Finanzwesens gerufen wird, einen Erfolg nach dem anderen feiern. Wie können Liberale auf den Zug aufspringen und auch mehr Staat fordern, wenn alle – außer vielleicht den Liberalen selbst – der Meinung sind, dass der Kapitalismus in Reinform offensichtlich nicht das Modell der Zukunft ist, sondern eher irgendeine Spielart der sozialen Marktwirtschaft? Sie werden eine Lösung finden, die Westerwelles und Niebels.

Die Linken dürften da leichtes Spiel haben und den Einzug in den Bundestag erneut schaffen. Auch die Grünen werden sicher noch weiter profitieren. Irgendwie hat man das Gefühl, Grün könnte das neue Rot werden. Ich bleibe bei der Meinung, dass die Sozialdemokraten nachhaltig in einer Krise stecken. Es kommt zu einer neuen Ordnung. Aus heutiger Sicht wird nichts an der schwarz-gelben Regierung vorbeiführen. Die Union positioniert sich wieder als Partei, die für (christ-)soziale Marktwirtschaft steht. Die mögliche Rolle der FDP ist noch nicht ganz definiert.

Die nächsten Wochen und Monate werden interessant, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik – dieser Aussage kann sicher jeder zustimmen.

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