Gunter Dueck, Mathematiker und Philosoph sowie viel beachteter Autor und Speaker rund um alle Themen der modernen Welt, wundert sich über die Massen an Studien, die die Wahrheit verkünden – obwohl da doch oft nur einer krampfhaft eine Diplom- oder Doktorarbeit zusammengeschrieben hat, nachdem er einige Menschen zu einem Sachverhalt befragt hat.
Mythos Multichannel – oder vom Wahnsinn, bei Tchibo Kaffee bestellen zu wollen
Zeitungsmarkt – Die Todesspirale dreht sich weiter
Natürlich muss ich an diesem denkwürdigen Tag in die Tasten greifen. Vergange Woche hat die FAZ ihre Streichliste vorgelegt. Heute war dann die Echo Medien GmbH an der Reihe. Der Verlag, der das Darmstädter Echo herausgibt. Die Zeitung, bei der ich zum Journalisten und Redakteur ausgebildet wurde. Es ist ein trauriger Tag. Die Tränen allerdings, die ich für diesen Tag aufgehoben habe, sammle ich schon seit fast 20 Jahren.
Rückblende: Anfang der 90er Jahre habe ich als freier Mitarbeiter für ein kümmerliches Zeilengeld beim Echo angeheuert. Das Publizistikstudium allein nutzt nichts, wenn man in den Journalismus gehen will. Das war so und das ist so. Damals waren die Arbeitsstationen, in denen Texte eingegeben wurden, noch keine Computer. Es gab in den Dingern 5,25 Zoll-Floppy-Disc-Laufwerke. Wahnsinn, Steinzeit. Einige Jahre später kamen Computer. Meine Güte, wie schwer war es, die alten Haudegen auf Computer umzuschulen. Das Internet gab es auch schon, aber der damalige Chefredakteur hat das Internet als eine Laune der Nerds (dieses Wort gab es damals noch nicht) abgetan. Irgendwann war doch klar: Das Internet geht nicht mehr weg. Zähneknirschend wurde eine technikfeindliche Gruppe von Redakteuren/Mitarbeitern zur Entwicklung des Webangebots im Interesse von Chefredakteur und Verleger installiert. Wer sich outete als jemand, der das Medium interessant und herausfordernd fand, wurde ausgebootet. Ich gebe zu, dass ich darunter war. Ich bin dann eben nach der Ausbildung zu RP-Online gegangen. Ende der 90er war das für den Bereich der regionalen Medien im Netz eine Referenz.
Jahrelang dümpelte das unterdurchschnittliche Internet-Angebot des Echos vor sich hin. Der Druck auf die Print-Redaktion wuchs. Die Fotografen wurden outgesourct. Aus Fotoredakteuren wurden Freie. Das Internet-Angebot wurde dann tatsächlich nach eingen Jahren überarbeitet, vor nicht allzu langer Zeit gab es dann auch noch mal ein Rebrush. Das Angebot ist unterdurchschnittlich geblieben. Eine neue Redaktionsleitung kam. Ein Kollege, den ich noch von früher kenne. Seit vielleicht drei Jahren gibt es auch so etwas wie Social Media. Gestartet ist man damit, nachdem der zwischenzeitliche Chefredakteur sich mit diffamierenden und lächerlichen Aussagen über Twitter und dessen Nutzer lustig gemacht hat.
Parallel dazu ging es mit dem Hauptprodukt, der Echo-Zeitung mit ihren fünf Kopfblättern (neben dem Darmstädter Echo), rasant bergab. Schwindende Auflage, sterbender Kleinanzeigenmarkt usw. Irgendeine Beratungsfirma hatte den armen und gutgläubigen Verlagen eingeredet, sie könnten mit ihrer Logistik der Post Konkurrenz machen. Ein lächerlicher Gedanke. Irgendwann wurde dann auch die eigene Druckerei geschlossen. Jetzt betreibt man eine Druckerei gemeinsam mit der Rhein-Main-Presse in Rüsselsheim mit wahnsinnig weiten Wegen in den Odenwald, in dem es eine relativ treue Leserschaft gibt.
Im Juni wurde bekannt gegeben, dass jetzt nur noch ein Kahlschlag helfen kann. Heute wurden die Mitarbeiter darüber informiert. Von 300 Vollzeitstellen sollen noch 140 übrig bleiben. Den Redaktionen soll es nicht so stark an den Kragen gehen. IT und Rechnungswesen sollen unter anderem outgesourct werden. Die Redakteure im Mantel werden an dieser Stelle wohl nicht mehr gebraucht. Der Mantel soll zugekauft werden. Unter uns: Das ist ein Konzept, das sich an einem Nachmittag auf einem Bierdeckel entwickeln lässt. Noch nicht einmal in der Krise gibt es in dieser Branche eine Innovation.
Nach und nach hat man sich im Kernprodukt vom Qualitätsjournalismus verabschiedet. Die Online-Aktivitäten kamen nie recht in Gang. Mit dem Post-Klon Maximail hat man auf das falsche Pferd gesetzt. Und über die wichtigsten Personalien der vergangenen 20 Jahre will ich gar nicht reden. Man kann als Verlag überleben, ein Selbstläufer ist das nicht. Die veränderten Gewohnheiten, Medien zu nutzen, hätte man antizipieren können.
Es mag sein, dass dies der letzte Versuch ist, einen Käufer für das einstmals stolze Familienunternehmen zu finden. Ich habe eher das Gefühl, dass an diesem Torso keiner mehr Interesse haben wird. Es sieht schlecht aus in der Holzhofallee. Jetzt können all die Tränen raus. Nein, Stopp, ein paar von ihnen kann man noch aufheben und in vielleicht fünf Jahren vergießen.
Stationärer Handel – ein Problemfall, immer wieder
Bedarfskäufer werden vom Online-Handel bestens bedient. „Du weißt, was du willst bzw. was du brauchst, geh‘ online einkaufen.“ Das ist eine klare Formel. Ich bin Bedarfskäufer, ich bin ein Online-Shopper. Klares Bekenntnis.
Und trotzdem: Ich will dem stationären Handel immer wieder eine Chance geben. In unserem Dorf wird er sowieso unterstützt, manchmal aber auch in der City oder sogar in Einkaufstempeln, wie sie so eigentlich keiner braucht. Aber auch hier arbeiten Menschen und verdienen ihren Lebensunterhalt. Also ab ins Skyline Plaza, einen dieser Shopping-Tempel in Frankfurt, den wirklich keiner braucht.
Der Sohn hat Geburtstag, und ich könnte den Brazuca auch im Internet shoppen. Aber heute nutze ich mal meine frühe Mittagspause, um die Straßenseite zu wechseln und ein reales Einkaufserlebnis zu haben.
Totentanz im Skyline Plaza. Wenn nicht gerade zur Mittagszeit die Schlipsträger, so wie ich, und die Damen in ihren Hosenanzügen zum Mittagessen auf der Fressmeile (Foodcourt) einfallen, herrscht hier Totentanz. Das ist schon immer so.
Behende bewege ich mich durchs Center. Das Ziel Intersport Voswinkel. Brazuca Replika im Angebot für rund 30 Euro, sagt die Werbung. Im Netz bei anderen Anbietern gibt es ihn für 5 bis 10 Euro weniger. Was man nicht alles tut, um den stationären Handel zu unterstützen.
„Ich suche den Brazuca Replika, Größe 5.“ „Wir haben im Moment nur die Mini-Version. In dieser Woche sollen wieder welche reinkommen“, sagt der Kollege. Die Kollegin ergänzt: „Wir beten darum.“
Okay, es ist ja wirklich ein bisschen exotisch während der Fußball-WM, die Replika-Variante des offiziellen Spielballs kaufen zu wollen. Zu einem anderen Zeitpunkt gern, aber ausgerechnet jetzt.
Klar, die Nachfrage ist möglicherweise groß. Aber in Zeiten leistungsfähiger Warenwirtschaftssysteme mit der Möglichkeit automatischer Nachorder ist das schon ein Hammer. Wenn der Bestand unter ein bestimmtes Niveau fällt, wird Ware automatisch nachgezogen, um alle Umsätze, die realisierbar sind, auch zu realisieren. Ansonsten kannst du als Händler einpacken. Push ist tot, es geht um Pull. Der Kunde will die Ware, jetzt. Er kommt nicht wieder, um seinen Bedarf zu befriedigen. Dafür gibt es andere Möglichkeiten.
Es gibt Prognose-Software, Renner-Penner-Analysen, Daten ohne Ende, um Vorhersagen zu treffen. Es gibt Online-Ordersysteme für Händler von Lieferanten, um in kürzester Zeit den Kunden glücklich zu machen. Ich habe mich jahrelang mit solchen Systemen befasst. Ich kenne die Branche ein wenig. Gerade Intersport als Einkaufsverbund hat entsprechende Systeme, viel investiert. Um so mehr schockiert mich, wie wenig diese schöne neue Welt in das reale Leben eingezogen ist.
Der stationäre Handel fabuliert etwas vom Einkaufserlebnis, das so nur stationär erlebt werden kann. Dieses Einkaufserlebnis ist ein Mythos. Du wandelst durch menschenleere Konsumtempel, um in noch menschenleereren Stores nicht vernünftig versorgt zu werden. Wer braucht das? Niemand. Tolles Erlebnis.
Viele der Probleme des stationären Handels sind selbstgemacht. Gern schiebt man die Verantwortung auf die böse Welt drumherum. Der böse Online-Handel, die blöden Kunden, die kein Verständnis haben. Die Lieferanten, die nichts können.
Stationärer Handel, du bist ein Problemfall, immer wieder. Den Brazuca liefert jetzt die Post, 5 Euro habe ich auch noch gespart.
Gelesen 25: Schluss mit der Sozialromantik!
Andreas Müller wurde auch schonmal als „Richter Gnadenlos“ bezeichnet. Müller ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin und ist aus Funk und Fernsehen und natürlich auch aus anderen Medien bekannt. Die Medien holen dann oft spektakuläre Urteile aus der Kiste, um zu zeigen, wie ungewöhnlich und für manche auch hart Müller im Tagesgeschäft zu Werke geht.
In diesem Buch nun stellt Müller seine Sicht auf die Justiz und die Rechtsprechung in Deutschland in konzentrierter Form vor. Wer seine Auftritte aus dem Fernsehen kennt, weiß schon viel über ihn und seine Einstellung. Jetzt liegt seine Meinungen und Ansichten in dem Buch „Schluss mit der Sozialromantik!“ auch in gedruckter Form vor.
Überraschend für mich: Müller geht sowohl mit der linken wie auch der konservativen Sozialromantik hart ins Gericht. Die linke Sozialromantik, Arrest und Gefängnisstrafen sind als Erziehungsinstrument ungeeignet, und die Täter sind auch nur Opfer der Umstände (Famile, Gesellschaft usw.) um die wir uns besonders kümmern müssen, ist mir bekannt. Entsprechend habe ich mit einer Abrechnung in diese Richtung gerechnet. Konservative Sozialromantik besteht laut Müller vor allem aus dem Wunsch, das Strafmaß zu erhöhen also die Haftstrafen für einzelne Delikte deutlich zu verlängern, und damit die Abschreckungswirkung zu verstärken und so Jugendliche davon abzubringen, Straftaten zu begehen.
Müller kann mit zahlreichen Beispielen aus seiner Praxis und seiner vorhandenen Erfahrungen zeigen, dass beide Einstellungen in ihrer Reinform absolute Sackgassen darstellen. Er entwickelt seine Vorstellung einer besseren Welt, die nur herbeizuführen ist, wenn sich in der Rechtssprechung einiges ändert. Er prangert strukturelle Hindernisse ebenso wie interessengeleitete politische Fehlentscheidungen im Justizbereich an. Er entwickelt seine Idee eines Erziehungsrichters und erläutert die Auswirkungen auf die Jugendlichen und deren Entwicklung. Ganz wichtig ist ihm auch die Opferperspektive, die ihm bisweilen in der Gerichtsbarkeit zu kurz kommt.
Müller ist eine Idealist – und das gefällt mir in diesem Rechtsumfeld sehr gut. Er gibt in dem Buch vieles von sich preis und zeigt so in herausragender Weise, wie stark die eigene Biographie schließlich auch die professionelle Haltung prägt. Der Titel hat etwas von Basta-Rhetorik. Positiv überrascht war ich dann, dass es in diesem Buch sehr sachlich und bedacht und damit auch argumentativ überzeugend zugeht. Die Lektüre ist in jedem Fall bereichernd und gerade die Sozialromantiker beider Seiten sollte den Mut aufbringen, dieses Buch zu lesen. Die Horizonterweiterung kann gelingen. Müller trifft einfach den richtigen Ton. Wenn ihm das in seinem beruflichen Alltag ebenso gelingt, dann ist er wahrlich ein guter Richter.
Einmal blitzdingsen, bitte
Könnte mal jemand die Menschen blitzdingsen. Damit sie wieder bei Null beginnen und den ganzen verquasten Kram, der in deren Köpfen herumspukt einmal vergessen. Ganz besonders von der Löschung der Erinnerung sollten die Teile des Gehirns betroffen sein, in denen sich politische Gedanken befinden, in denen sich der politische Speicher lokalisieren lässt. Einmal blitzdingsen, bitte. Dann von vorne anfangen. Alle Vetternwirtschaft abschalten. Günstlingskram vergessen. Nullpunkt setzen. Aufhören sich in Machtstrukturen zu bewegen, von denen diese Leute gar nicht mehr wissen, dass sie darin verstrickt sind.
Koalitionsverhandlung, große Koalition: Ich kann es nicht mehr hören. In den Gesprächen über Menschen werden die Menschen vergessen, weil sich die Politikerkaste ausschließlich um sich selbst bewegt, um ihre Ideologien, um ihre Machtansprüche. Bodenhaftung? Fehlanzeige. Es wird geredet und geredet. Dann werden die bösen (oder vielleicht eher blöden?) Medien instrumentalisiert. In die Öffentlichkeit gelangen Aussagen, die die Gegenpartei und auch die in den Verhandlungen gar nicht beteiligten Gruppen aufscheuchen sollen. Unruhestiftung nennt man das. Eigentlich ein verpöntes Vorgehen. Aber wenn angesehene (sic!) Politiker sich entsprechender Mittel bedienen, ist es ja in Ordnung. Das spürt man.
Glaubt eigentlich irgendjemand der Damen und Herren Unterhändler, dass die Menschen sich in diesem Moment von ihnen vertreten fühlen? Glauben sie es wirklich? Mehr Schein als Sein. Falsch. Nur Schein, kein Sein.
Lustig auch wie die Sozialdemokraten versuchen, die parlamentarische Demokratie auszuhebeln, indem sie die Entscheidung für oder gegen die Koalition von der Basis abhängig machen wollen. Was haben die Wähler eigentlich gewählt? Und überhaupt. Wer glaubt wirklich daran, dass die Masse der Menschen in einzelnen Punkten in der Lage ist, bessere Entscheidungen zu treffen, als wahre Mandatare, die diesen Namen auch verdienen? Unsere Demokratie funktioniert anders, es handelt sich nicht um eine direkte Demokratie und das ist auch richtig und stimmig. Wir brauchen keine Volksabstimmungen. Agitatoren und Populisten warten nur auf die Chance, sich und ihre Ideen zu profilieren. Der Beweis ist nicht geführt, dass es allen besser geht, wenn alle über Dinge entscheiden, die alle angehen.
Es wäre ganz gut, wenn ein Blitzdingsen wie im Film möglich wäre. Dann könnte man sich noch einmal die Erfahrungen aus der Weltgeschichte vergegenwärtigen, ohne nur an parteipolitische Interessen und Machterhalt und/oder -ausbau zu denken. Das ist der grundsätzliche Gedanke, leider eine Vision.
Konkret können nur Neuwahlen die Politiker und die Menschen aufrütteln. Die Gefahr und gleichzeitig Teil des Aufrüttelungsprogramms: Populistsiche Parteien wie die AfD kämen in den Bundestag und bekämen eine Bühne, die ihnen in einem geblitzdingsten Land niemals zustehen würde. Sie hätten auch niemals eine Chance, wenn Politik wirklich und wahrhaftig für die Menschen da wäre. Das ist das Ziel, dort müssen wir hin.
Gelesen 24: Ein Marketing-Buch ohne Marketing-Sprech
Endlich ist es da, das Online-Marketing-Buch, das ohne allzuviel Marketing-Sprech, und ohne abgehoben zu sein, anschaulich erläutert, wie auch kleine und kleinste Unternehmen die Möglichkeiten des Internet für ihre Sache nutzen können. Der Autor Olaf Kolbrück ist selbstverständlich kein Unbekannter in der Szene. Als Reporter der Marketing-Zeitschrift Horizont, die ebenso wie dieses Fachbuch im Deutschen Fachverlag in Frankfurt erscheint, und Kopf hinter den Blogs off-the-record und vor allem etailment hat er sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. Nach der Veröffentlichung dieses Buches nun weiß man, dass es keinen besseren Autor hätte geben können, um ein Online-Marketing-Handbuch für die Praxis zu verfassen.
Mit klarer Sprache und gut nachvollziehbarer Struktur nimmt er sich der unterschiedlichen Facetten des Online-Marketings an. Und dabei lässt er auch klassische Tools wie Homepage und E-Mail nicht außen vor. Denn selbstverständlich haben auch diese noch heute in Zeiten von Web 2.0 und Social Media ihre Daseinsberechtigung. Der Autor weist völlig zurecht darauf hin, dass die eigene Homepage noch immer die Visitenkarte Nummer eins einer Unternehmung ist. In vielen Fällen ist es wahrscheinlich sinnvoller, den einen oder anderen Euro in eine Auffrischung des eigenen Internet-Angebots zu stecken und Themen wie Social Media und Bewegtbild vorerst hintan zu stellen. Neben den bereits erwähnten Themen geht es auch intensiv um Digitales Couponing, Suchmaschinenmarketing, Displaywerbung und Affiliate Marketing. Basisinformationen werden stets durch Beispiele aus der Praxis angereichert. Zeitsparend sind die Checklisten und Boxen, in denen kurz gefasst die wesentlichen Inhalte noch einmal wiederholt werden.
Zudem gibt es eine Verlängerung der Inhalte ins Internet: Auf einer eigens eingerichteten Seite (QR-Code befindet sich im Bucheinstieg) wurden alle relevanten im Buch vorkommenden Links zusammengestellt.
Olaf Kolbrück, Erfolgsfaktor Online-Marketing, 2013, Deutscher Fachverlag, 227 Seiten, 49 Euro
Ein Buchmessen-Sonntag
Nach einem Jahr Abstinenz war ich wieder einmal auf der Buchmesse. Dieses Mal habe ich einen Sonntag gewählt, ganz bewusst. Besser gesagt, mit bestem Wissen, dass es an diesem Tag besonders hoch her geht. Und so war es dann auch.
Das ist aber ja schon eine der guten Botschaften. Lesen läuft. Wenn der Wille zum Lesen noch da ist, dann ist es um die Gesellschaft vielleicht noch nicht ganz so schlecht bestellt.
Viele Eltern mit ihren Kindern waren unterwegs. Entsprechend voll war es in der Kinder- und Jugendbuchzone. So voll, dass ich mich dort nur kurz aufgehalten habe. Mich hat sowieso mehr zu den Fach- und Sachbüchern hingezogen. Meine Favoriten unter den Verlagen: Klett-Cotta, Kösel, Herder, V&R- und selbstverständlich auch die Verlage, die zu diesen Häusern gehören.
Die Buchbranche hat sich in diesem Jahr sehr lebendig präsentiert. Opulente Stände, mit sehr vielen Mitarbeitern, bereit für Promotion und Beratung. Und selbstverständlich wurde an diesem Sonntag auch eifrig gehandelt. Die Verlage, vor allem jene aus dem Ausland haben schließlich keine Lust, die ganzen Bücher wieder einzupacken und mühsam zu transportieren.
Ansonsten auffällig: Die Manga-Mädels mit ihren Hug me-Schildern um den Hals. Sie waren beliebte Fotomotive und sorgten bei manchen Besuchern für ein Staunen. In der Halle der ausländischen Verlage begann der Kehraus bereits gegen Mittag.
Die Frankfurter Buchmesse 2013 ist Geschichte. Ein Besuch ist immer inspirierend. Obwohl ich stets auch eine gewisse Hilflosigkeit verspüre ob der Masse an Büchern, von denen doch so viele interessant zu sein scheinen. Hier die Perlen herauszupicken, ist eine große Aufgabe. Mal sehen, ob ich mich demnächst für die richtigen Titel entscheide.
Besidos supporten Kolektif Istanbul in Darmstadt
Es ist kein Geheimnis: Ich bin ein großer Fan der Besidos aus Darmstadt. Feine Musik, ungewöhnlich, mit Tiefgang und unterhaltsam. Balkan-Gypsy-Groove-Pop – was auch immer: Jeder soll sich selbst ein Bild machen – und wer offen an die besidos herangeht, wird seinen Spaß haben. Davon bin ich überzeugt. Und wer die Buben einmal live erleben will, hat am 23. Oktober die Gelegeneheit hierzu. In Darmstadt, in der Bessunger Knabenschule. Als Support für den Top-Act Kolektif Istanbul aus der Türkei. Es handelt sich um einen Benefiz-Veranstaltung – das verbindet das Unterhaltsame mit dem Wohltätigen. Einige Hintergründe zu dem Gig findet Ihr in folgender Pressemitteilung der Besidos:
„From Gezi With Love“: Soli-Konzert mit Kolektif Istanbul + Support: Besidos Als „Capulcu“ übersetzt: Nichtsnutze, Störenfriede verunglimpfte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan die Demonstranten im Istanbuler Gezi Park am Taksim Platz. Sein Ziel, sie damit verbal vom Rest der türkischen Gesellschaft auszugrenzen, verkehrte sich jedoch ins Gegenteil. Immer mehr Istanbuler solidarisierten sich mit den „Störenfrieden“, auf Facebook wurde „Capulcu“ für viele zum mit Stolz getragenen zweiten Vornamen. Das Besondere für die türkische Gesellschaft: Statt des alltäglichen Nebeneinander – Lebens von westlich orientierten Türken auf der einen und islamisch geprägten Türken auf der anderen Seite wurde das Miteinander kultiviert: Plötzlich ging das Atatürk verehrende ältere Ehepaar zusammen mit der gläubigen Muslima neben dem Architekturstudenten und vielen Musikern und Künstlern auf die Straße, um zusammen für Meinungs-und Pressefreiheit sowie gegen die völlig übertriebene Härte der türkischen Polizei zu protestieren. Auch die Musiker des Kolektif Istanbul protestierten mit – auf musizierende Weise und gemeinsam mit anderen Istanbuler Musikerkollegen: Als marching band namens „Gezi Bandosu“ zog man mit Pauken, Klarinetten, Dudelsäcken, Tuba und Trompeten durch die Straßen von Taksim und Beyoglu. Wie den Demonstranten geht es auch der fünfköpfigen Band um das friedliche und entspannte Miteinander verschiedener Kulturen: „Ebenso abwechslungsreich und bunt gemischt [wie das Publikum] ist die Musik von Kolektif Istanbul. Der Mix enthält türkische Folklore und moderne Popelemente, aber auch funkige und jazzige Klänge. Der Hörer spürt, wie hier der energetische Groove des Balkans und die Tiefe traditioneller anatolischer Melodien zusammenfließen – kurzum: Die Musik ist ein ebensolcher Schmelztiegel wie die Heimatstadt von Kolektif Istanbul. Und sie ist in jedem Ton tanzbar“, so Anna Novák in „die Welt“ zum Auftritt der Band in Hamburg (am 18. Juli 2011). Auf ihrer kleinen Deutschland-Tournee beehrt das Kollektiv um Frontmann Richard Laniepce, einem bretonischen Wahl-Istanbuler, auch die Knabenschule in Darmstadt für ein einmaliges Solidaritäts-Konzert: Die gesamte Organisation des Abends ist ehrenamtlich, der Eintritt frei, Spenden jedoch ausdrücklich erwünscht. Die Spenden gehen ohne Abzüge an das Kolektif Istanbul und das Projekt „Calikusu“ zur Unterstützung sozial benachteiligter Kinder in der Türkei (mit Sitz im Istanbuler Stadtteil Kadiköy). Als Vorgruppe treten die Darmstädter Experten in Sachen Gypsy-Balkan-Groove, die Besidos, auf. Bei einem ihrer zahlreichen Auftritte in der Metropole am Bosporus hatten sie das Kolektif Istanbul kennengelernt – und damals schon herzlich nach Darmstadt eingeladen.
Weitere Infos und Videos auf:
http://www.kolektifistanbul.com
und
http://www.besidos.de
und
http://www.calikusu.org
Gezi Bandosu „From Gezi with Love“:
Fakten zum Gig:
„From Gezi With Love“
Konzert mit Kolektif Istanbul + Support: Besidos (Darmstadt)
Bessunger Knabenschule (Halle)
Mittwoch, 23. Oktober 2013
Einlass 20.00 Uhr
Beginn 20.30 Uhr
Eintritt frei (Spende erwünscht und geht komplett an das Kolektif Istanbul und das soziale Projekt Calikusu in der Türkei)Veranstalter (ehrenamtlich): Hüseyin Köroglu (WatzUp-Records, Phunk Mob, Besidos)und Cem Tevetoglu (P Stadtkulturmagazin)
Stoppt die Ökonomisierung von Kindern und Familien!
In diesen Wochen und Monaten ist viel Schwachsinn über Familienpolitik, vor allem in ihrer vermeintlich modernen Form, zu lesen und zu hören. Die Modernen meinen, dass Familienpolitik nur dann gut ist, wenn Eltern möglichst wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen und dafür umso mehr Zeit haben, der Volkswirtschaft etwas Gutes zu tun. Wir hören davon, dass professionelle Kindererzieher besser für unsere Kinder sind als wir Eltern. Den schlechten Familienpolitikern wird an Stellen vorgeworfen, dass sie schlecht sind, an denen sie gerade noch gut sind und tatsächlich Politik für Familien machen. Dabei geht es um finanzielle Zuwendungen, die der Staat übrigens mehrfach verzinst wieder bekommt. Ohne Familien übrigens wäre unser Sozialsystem tot, Generationenverträge wären hinfällig.
Diese „modernen Familienpolitiker“ glauben, dass die Menschen den innigen Wunsch haben Kinder in die Welt zu setzen, um sich später nicht mehr um sie kümmern zu müssen. Tatsächlich gibt es solche Menschen. Hier werden Kinder zu Status Symbolen, Dingen, Gadgets. Hier handelt es sich zum Glück um die Minderheit. Uns soll aber vorgegaukelt werden, dass dies die Regel ist. Eine Menge Protagonisten sind hier am Start – ja, ich darf auch die Medien erwähnen. Es gibt „Eltern“-Magazine, die Tipps geben, welche Urlaubsorte sich eignen, um die Kinder den ganzen Tag nicht sehen und hören zu müssen. Die Journalisten und Medienmacher sagen uns, dass wir unbedingt Zeit ohne unsere Kinder verbringen sollten. Nur dann sind wir glücklich. Unfug.
Bei allen Diskussionen geht es in den seltensten Fällen um das Wohl der Kinder. Es geht immer nur um die Selbstverwirklichung der Erwachsenen. Und wirtschaftliche Interessen. Die Politik lässt sich von den Lobbyisten vorführen. Besonders schockierend ist das beispielhaft an den Sozialdemokraten zu beobachten. Welch ein Geschrei kommt aus ihrer Ecke. Gegen Betreuungsgeld, für die flächendeckende Betreuung von Kindern unter drei Jahren, am besten kostenlos für alle. Ganztagsschulen auch schon in der Primarstufe. Voller Durchgriff des Staates auf die Kinder. Sozialdemokratie wird hier zu Sozialismus. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Satz einmal schreiben würde. Diese Geisteshaltung macht die Sozialdemokraten für jeden unwählbar, dem Freiheit und Demokratie am Herzen liegen. Allerdings ist nicht ganz klar: Ist die Sozialdemokratie der verlängerte Arm der Wirtschaft oder ist das Ziel Sozialismus, also das Einbläuen von Staatsräson in die noch jungen Kinderköpfe. Beides ist eine Katastrophe für Menschen, die aus Überzeugung sozialdemokratisch denken und handeln wollen.
Ich pfeife auf die „moderne Familienpolitik“ dieser Machart. Interessant ist auch die Beobachtung, dass „moderne Familienpolitik“ immer mit „moderner Frauenpolitik“ in einem Zuge genannt wird. Es ist aber auch Zeit für moderne Männerpolitik. Und das heißt, dass unsere verbohrte Gesellschaft endlich akzeptieren sollte, dass Männer eine Chance bekommen müssen, ihre Vaterrolle so leben zu können, wie diese es möchten. Wenn Männer mehr Väter sein dürften, dann könnten Mütter auch wieder mehr Frauen sein. Damit wäre allen gedient. In erster Linie den Kindern und dann auch Frauen und Männern. Schlimm ist, dass vor allem Männern dieser Gedanke so gut wie gar nicht in den Sinn kommt. Sie meinen immer, sich für Frauen stark machen zu müssen. Die Männer müssen noch viel lernen. In Wirklichkeit haben viele von den Mächtigen in Politik und Wirtschaft Angst, sich mit ihrer Männerrolle und vor allem Vaterrolle auseinanderzusetzen. Hier warten die Herausforderungen des Lebens. Im Beruf kann man sich schön verstecken und die Arbeit den Frauen oder noch schlimmer dem Staat überlassen, sich um die Kinder und deren Wohl zu kümmern.
Also Männer, kommt aus euren Bequemlichkeitsnischen. Setzt euch für das Wohl von Kindern und Familien ein. Ihr dürft dabei sogar an euch selber denken.
PS: An alle Kritiker dieser Zeilen: Ja, ich habe das Für und Wider für alle Aspekte, über die ich hier meine Meinung äußere, bedacht. Ja, es gibt Kinder, für deren Wohl es besser ist, nicht zu viel Zeit mit den eigenen Eltern zu verbringen. Zum Glück ist das aber noch nicht die Regel. Diesen Kindern sollen und müssen andere Möglichkeiten geboten werden. Übrigens ist das umso einfacher und zielorientierter möglich, je stärker präventive Familienbildung gefördert wird. Hierzu hört man von den selbsternannten „modernen Familienpolitikern“ nichts. Warum? Weil sie gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Dann wissen sie leider auch nicht, dass diese Arbeit furchtbar schlecht finanziell ausgestattet ist. Der Familienbildung fehlt leider die Lobby, auch hier gibt es noch reichlich zu tun.