Spaß beim Lesen
Heute hatte ich wieder einmal richtig Spaß beim Lesen „meiner“ Zeitung (ich habe sie übrigens im Zeitungsladen gekauft). Der Darmstädter-Echo-Chefredakteur persönlich hat für die Sonntagsbeilage über das Forum Lokaljournalismus in Dortmund in die Tasten gegriffen. Das Ergebnis: Ein überheblicher und ignoranter Aufsatz über die Zukunft des Lokaljournalismus, die künftige Rolle der Lokalzeitungen, das Verhältnis von Print und Online, das Mitmach-Internet, den Bürgerjournalismus und das Ende der Blog-Ära. Der Titel: „Stochern im Nebel 4.0“
Als erstes fällt in diesem Text, aber eigentlich auch allgemein, auf, dass sich Chefredakteure immer häufiger mit der Re-Finanzierbarkeit von Journalismus beschäftigen. Das ist eigentlich klassisch das Geschäft des Verlegers. Im gleichen Atemzug wird von Qualitätsjournalismus gesprochen – das ist leider oft ein Widerspruch in sich selbst. Die Unabhängigkeit einer Redaktion garantiert Qualitätsjournalismus. Das Argument der Re-Finanzierbarkeit für das Erstellen von Medieninhalten und die Aggregation von Content macht unglaubwürdig.
Chefredakteur Jörg Riebartsch betont, dass die Teilnehmer des Kongresses neidisch nach Südhessen blicken, weil man es hier geschafft hat, re-finanzierbare Printprodukte zu lancieren. Als Beispiel führt er das einmal im Monat dem Echo beigelegte Kinderheft und das alle zwei Monate erscheinende Wirtschaftsecho, mit dem auch Vertriebserlöse erzielt werden, an. Die Eigen-PR kommt an dieser Stelle sehr unglaubwürdig rüber. Dass sich die Objekte wirklich rechnen, legt er öffentlich nicht dar. Und ich glaube, dass bei einer Vollkostenrechnung die Bilanz nicht positiv sein dürfte. Die Verlage versuchen, Line Extensions über vorhandene personelle Bordmittel zu realisieren. Würde man die Arbeitszeit korrekt verrechnen, sähe das Ganze schon anders aus. So lange aber die Mitarbeiter tendenziell zur Selbstausbeutung neigen, geht es eben noch gut.
Zweiter Punkt an dieser Stelle: Die Einsparmaßnahmen beim Medienhaus Südhessen sind vielfältig. So wurde schon vor vielen Jahren die Foto-Redaktion abgeschafft. In den Lokalredaktionen arbeiten mittlerweile auch weniger Redakteure als noch vor einigen Jahren. Es werden auf Gedeih und Verderb Volontäre beschäftigt, die oft nur wenig Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung haben, aber zur Selbstausbeutung neigen. Die Schließung der Druckerei am Hauptsitz mit der einhergehenden Kündigung aller Mitarbeiter, die teilweise zu schlechteren Konditionen in dem neu entstehenden Druckzentrum, das gemeinsam mit Konkurrent Rhein-Main-Presse in Rüsselsheim gebaut wird, anheuern dürfen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die von allen beneideten Print-Produkte auch nicht helfen, die Erosion zu stoppen. Die Auflagenzahlen gehen zurück. Die Abonennten sterben weg. Es fehlt an jungen Lesern. Die im Echo erscheinenden Stellenangebote lassen sich an wenigen Händen abzählen. Der Kleinanzeigenmarkt schwächelt auch. Die Erfolgsbilanz des wirtschaftlich denkenden Chefredakteurs und seines Vorgängers ist jetzt auch nicht so beeindruckend.
Das ist nun nur die eine Seite der Medaille und dieses denkwürdigen Aufsatzes. Den Löwenanteil nimmt eine Generalabrechnung mit den Aktivitäten der anderen Verlage im Internet ein. Ein Zitat: „Verunsichert, ob teuer bezahlter Journalismus überhaupt noch eine Zukunft hat, mühen sich viele Chefredakteure und Redaktionsleiter im Internet mit Blogs ab und twittern – plappern wäre die korrektere Bezeichnung – munter die Kanäle im weltweiten Web voll.“ Ich finde, das ist harter Tobak. Eigentlich ist das niveaulos für einen Chefredakteur. Der ganze Text strotzt nur so vor abqualifizierenden Äußerungen. Die Wertschätzung für die Arbeit der Kollegen nähert sich Satz für Satz dem Nullpunkt. Mich würde einmal interessieren, wie das die Angesprochenen sehen. Vielleicht liest diese Zeilen ja jemand. Deutliche Kommentare würden mich freuen.
Ganz nebenbei beerdigt Riebartsch mit der virtuellen Welt „Second Life“ auch die Blogs. Alles Dinge, die einmal kommen und schnell wieder verschwinden. So wäre es den konservativen Medienmanagern am liebsten. Tatsache ist, dass man gerade beim Darmstädter Echo Entwicklungen im Netz massiv verschlafen hat. Nach dem ernsthaften Start mit einem medienadäquaten Angebot im Internet hat es über zehn Jahre gedauert, bis man sich zu einem Relaunch durchringen konnte. Das Internet hatte beim Echo noch nie eine Chance – und das wird nach diesem Aufsatz auch so bleiben. Dann muss man sich die Frage stellen, welche Chance das Medienhaus überhaupt hat.
Riebartsch hat Angst vor dem Bürgerjournalisten. Und tatsächlich ist es ja auch so, dass Qualität dauerhaft eine Rolle bei der Verbreitung von Inhalten im Internet spielen muss. Wer sich aber so verhält, wird eben bald keine Relevanz mehr haben, weil man weder die Person noch das Medium mehr ernst nehmen kann – dann kann auch die Rolle nicht mehr gespielt werden, Dinge einzuordnen und der Wahrheit möglichst nah auf den Pelz zu rücken. Die Aktivitäten von Leuten wie Christian Lindner (@RZChefredakteur), einem der Chefredakteure der Rhein-Zeitung, tragen maßgeblich dazu bei, dass der Wert der Medienmarke Rhein-Zeitung sukzessive steigt. Personalisierung war und ist ein wesentliches Element der Leser-Blatt-Bindung. Mit Verlaub: In keiner Zeitung schreibt der Chefredakteur weniger Leitartikel als beim Darmstädter Echo. Das war aber auch schon vor 20 Jahren so, vor der Riebartsch-Ära.
Social Media ist aus Sicht von Riebartsch auch Firlefanz. Noch ein Zitat: „Richtig ist sicher, dass viele große Zeitungen so weit weg von ihren Leserinnen und Lesern sind, dass es für sie offenbar eine neue Erkenntnis ist, es sei wohl doch hilfreicher nahe am Leser dran zu sein. Kontakte in Facebook mögen da ein Hilfsmittel sein zu erfahren, was die Kundschaft, in dem Fall die Leser, wünschen. Ansonsten hilft auch einfach das gute alte persönliche Gespräch.“ Na, da scheint ja das Echo ganz weit vorn zu sein, beim Thema Lesernähe. Das kann ich leider ganz und gar nicht bestätigen. Immerhin: Eine Veränderung gab es mit Riebartsch: Das Echo veranstaltet Podiumsdiskussionen zu lokalpolitischen Themen und er oder ein Ressortleiter moderieren sie. Das ist schon mal etwas. Aber erfunden hat das Medienhaus Darmstadt diese Veranstaltungsform auch nicht.
Es ist absolut richtig, das ganze Geschehen im Netz zu beobachten und zu analysieren und die Schwächen aufzudecken. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Allerdings Nestbeschmutzung und Publikumsbeschimpfung in einem Beitrag in einer Zeitung zusammenzubringen, das empfinde ich als starkes Stück. Wenn Jörg Riebartsch und andere gleichdenkende Chefredakteure sowie Medienmanager zeigen können, dass ihre Strategie erfolgreich ist und die Lokalzeitung auch nach deren Ära noch lebt, dann sollte mich das sehr wundern. Schade eigentlich, wenn die Lokalzeitungen ihre Bedeutung und Relevanz verlieren. Eine Konstante weniger im Leben. Sie hatten aber ihre Chance.
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