Gelesen 25: Schluss mit der Sozialromantik!

Andreas Müller: Schluss mit der Sozialromantik! aus dem Herder Verlag
Andreas Müller: Schluss mit der Sozialromantik! aus dem Herder Verlag

Andreas Müller wurde auch schonmal als „Richter Gnadenlos“ bezeichnet. Müller ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin und ist aus Funk und Fernsehen und natürlich auch aus anderen Medien bekannt. Die Medien holen dann oft spektakuläre Urteile aus der Kiste, um zu zeigen, wie ungewöhnlich und für manche auch hart Müller im Tagesgeschäft zu Werke geht.

In diesem Buch nun stellt Müller seine Sicht auf die Justiz und die Rechtsprechung in Deutschland in konzentrierter Form vor. Wer seine Auftritte aus dem Fernsehen kennt, weiß schon viel über ihn und seine Einstellung. Jetzt liegt seine Meinungen und Ansichten in dem Buch „Schluss mit der Sozialromantik!“ auch in gedruckter Form vor.

Überraschend für mich: Müller geht sowohl mit der linken wie auch der konservativen Sozialromantik hart ins Gericht. Die linke Sozialromantik, Arrest und Gefängnisstrafen sind als Erziehungsinstrument ungeeignet, und die Täter sind auch nur Opfer der Umstände (Famile, Gesellschaft usw.) um die wir uns besonders kümmern müssen, ist mir bekannt. Entsprechend habe ich mit einer Abrechnung in diese Richtung gerechnet. Konservative Sozialromantik besteht laut Müller vor allem aus dem Wunsch, das Strafmaß zu erhöhen also die Haftstrafen für einzelne Delikte deutlich zu verlängern, und damit die Abschreckungswirkung zu verstärken und so Jugendliche davon abzubringen, Straftaten zu begehen.

Müller kann mit zahlreichen Beispielen aus seiner Praxis und seiner vorhandenen Erfahrungen zeigen, dass beide Einstellungen in ihrer Reinform absolute Sackgassen darstellen. Er entwickelt seine Vorstellung einer besseren Welt, die nur herbeizuführen ist, wenn sich in der Rechtssprechung einiges ändert. Er prangert strukturelle Hindernisse ebenso wie interessengeleitete politische Fehlentscheidungen im Justizbereich an. Er entwickelt seine Idee eines Erziehungsrichters und erläutert die Auswirkungen auf die Jugendlichen und deren Entwicklung. Ganz wichtig ist ihm auch die Opferperspektive, die ihm bisweilen in der Gerichtsbarkeit zu kurz kommt.

Müller ist eine Idealist – und das gefällt mir in diesem Rechtsumfeld sehr gut. Er gibt in dem Buch vieles von sich preis und zeigt so in herausragender Weise, wie stark die eigene Biographie schließlich auch die professionelle Haltung prägt. Der Titel hat etwas von Basta-Rhetorik. Positiv überrascht war ich dann, dass es in diesem Buch sehr sachlich und bedacht und damit auch argumentativ überzeugend zugeht. Die Lektüre ist in jedem Fall bereichernd und gerade die Sozialromantiker beider Seiten sollte den Mut aufbringen, dieses Buch zu lesen. Die Horizonterweiterung kann gelingen. Müller trifft einfach den richtigen Ton. Wenn ihm das in seinem beruflichen Alltag ebenso gelingt, dann ist er wahrlich ein guter Richter.

Andreas Müller, Schluss mit der Sozialromantik! – Ein Jugendrichter zieht Bilanz, 2013, Herder, 240 Seiten, 16,99 Euro

Flattr this!

Gelesen 24: Ein Marketing-Buch ohne Marketing-Sprech

Erfolgsfaktor Online-Marketing
Erfolgsfaktor Online-Marketing

Endlich ist es da, das Online-Marketing-Buch, das ohne allzuviel Marketing-Sprech, und ohne abgehoben zu sein, anschaulich erläutert, wie auch kleine und kleinste Unternehmen die Möglichkeiten des Internet für ihre Sache nutzen können. Der Autor Olaf Kolbrück ist selbstverständlich kein Unbekannter in der Szene. Als Reporter der Marketing-Zeitschrift Horizont, die ebenso wie dieses Fachbuch im Deutschen Fachverlag in Frankfurt erscheint, und Kopf hinter den Blogs off-the-record und vor allem etailment hat er sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. Nach der Veröffentlichung dieses Buches nun weiß man, dass es keinen besseren Autor hätte geben können, um ein Online-Marketing-Handbuch für die Praxis zu verfassen.

Mit klarer Sprache und gut nachvollziehbarer Struktur nimmt er sich der unterschiedlichen Facetten des Online-Marketings an. Und dabei lässt er auch klassische Tools wie Homepage und E-Mail nicht außen vor. Denn selbstverständlich haben auch diese noch heute in Zeiten von Web 2.0 und Social Media ihre Daseinsberechtigung. Der Autor weist völlig zurecht darauf hin, dass die eigene Homepage noch immer die Visitenkarte Nummer eins einer Unternehmung ist. In vielen Fällen ist es wahrscheinlich sinnvoller, den einen oder anderen Euro in eine Auffrischung des eigenen Internet-Angebots zu stecken und Themen wie Social Media und Bewegtbild vorerst hintan zu stellen. Neben den bereits erwähnten Themen geht es auch intensiv um Digitales Couponing, Suchmaschinenmarketing, Displaywerbung und Affiliate Marketing. Basisinformationen werden stets durch Beispiele aus der Praxis angereichert. Zeitsparend sind die Checklisten und Boxen, in denen kurz gefasst die wesentlichen Inhalte noch einmal wiederholt werden.

Zudem gibt es eine Verlängerung der Inhalte ins Internet: Auf einer eigens eingerichteten Seite (QR-Code befindet sich im Bucheinstieg) wurden alle relevanten im Buch vorkommenden Links zusammengestellt.

Olaf Kolbrück, Erfolgsfaktor Online-Marketing, 2013, Deutscher Fachverlag, 227 Seiten, 49 Euro

Flattr this!

Ein Buchmessen-Sonntag

Nach einem Jahr Abstinenz war ich wieder einmal auf der Buchmesse. Dieses Mal habe ich einen Sonntag gewählt, ganz bewusst. Besser gesagt, mit bestem Wissen, dass es an diesem Tag besonders hoch her geht. Und so war es dann auch.

Das ist aber ja schon eine der guten Botschaften. Lesen läuft. Wenn der Wille zum Lesen noch da ist, dann ist es um die Gesellschaft vielleicht noch nicht ganz so schlecht bestellt.

Viele Eltern mit ihren Kindern waren unterwegs. Entsprechend voll war es in der Kinder- und Jugendbuchzone. So voll, dass ich mich dort nur kurz aufgehalten habe. Mich hat sowieso mehr zu den Fach- und Sachbüchern hingezogen. Meine Favoriten unter den Verlagen: Klett-Cotta, Kösel, Herder, V&R- und selbstverständlich auch die Verlage, die zu diesen Häusern gehören.

Die Buchbranche hat sich in diesem Jahr sehr lebendig präsentiert. Opulente Stände, mit sehr vielen Mitarbeitern, bereit für Promotion und Beratung. Und selbstverständlich wurde an diesem Sonntag auch eifrig gehandelt. Die Verlage, vor allem jene aus dem Ausland haben schließlich keine Lust, die ganzen Bücher wieder einzupacken und mühsam zu transportieren.

Ansonsten auffällig: Die Manga-Mädels mit ihren Hug me-Schildern um den Hals. Sie waren beliebte Fotomotive und sorgten bei manchen Besuchern für ein Staunen. In der Halle der ausländischen Verlage begann der Kehraus bereits gegen Mittag.

Die Frankfurter Buchmesse 2013 ist Geschichte. Ein Besuch ist immer inspirierend. Obwohl ich stets auch eine gewisse Hilflosigkeit verspüre ob der Masse an Büchern, von denen doch so viele interessant zu sein scheinen. Hier die Perlen herauszupicken, ist eine große Aufgabe. Mal sehen, ob ich mich demnächst für die richtigen Titel entscheide.

Flattr this!

Gelesen 23: Abgeferkelt

20121016-085346.jpgBevor ich hier auch nur irgendeine Zeile schreibe, muss ich etwas klarstellen: Ich gehöre als einer der letzten zur Zielgruppe dieses Buches. Da allerdings mit Andrea Hackenberg eine nette Ex-Kollegin die Autorin des Romans „Abgeferkelt“ ist, war es natürlich meine Pflicht, dieses Buch in einer echten Buchhandlung zu bestellen (damit eine weitere Offline-Buchhandlung in die Statistik des Verlags Einzug finden konnte), und es selbstverständlich auch zu lesen – und nicht zuletzt an dieser Stelle darüber zu berichten.

Im Zusammenhang mit diesem Buch gab es für mich einiges zu lernen. Besonders wichtig: Ich weiß nun, was hinter dem Genre Chick Lit steckt. Es handelt sich um locker-flockige Literatur für junge Frauen – despektierlich Chicks genannt. Die Zielgruppe dieses Buches ist also weiblich, zwischen 16 und 30 Jahre alt. Angesprochen sind Fashion-Addicts und solche, die es werden wollen. Schönheit, vor allem die eigene, steht bei den Mitgliedern der Zielgruppe hoch im Kurs. Ihre vornehmliche Lektüre besteht in Modemagazinen und Fashion-Blogs. Hervorragende Kenntnisse der Promi-Szene schaden auch nicht. Jedes Wort dieser Definition presst es mir mehr ins Bewusstsein: Ich bin so weit von der Zielgruppe weg wie die Ameise vom Wachsen eines Stoßzahns aus Elfenbein.

Was kann ich also Kompetentes über dieses Buch schreiben? Ich kann ein paar Zeilen zur Handlung verfassen. Diese nämlich habe ich sehr gut erfassen können. Das Buch ist klar und frisch geschrieben. Man kann sagen, dass es sich um leichte Lektüre handelt. Wenn ich das hier schreibe, sollte es bitte wertfrei verstanden werden.

Kati Margold – 33, Fashion-Addict, Kosmetik-Fan qua Profession, natürlich wahnsinnig gut aussehend – landet vorübergehend in der Lokalredaktion eines Lokalblättchens in Norddeutschland, nachdem sie sich als Redakteurin bislang nur mit Kosmetika und der Welt der Schönen und nicht zwangsweise Reichen beschäftigte. Der Hintergrund: Ihr Erzeuger ist gestorben und hat ihr den Verlag vermacht. Undercover soll sie nun den Verlag kennenlernen und entscheiden, ob er umgehend an einen Großverlag verkauft werden soll, oder ob sie in die Verlegerrolle schlüpfen möchte.

Es entwickelt sich eine Story voller Emotionen und Menscheleien. Dabei werden nie irgendwelche Grenzen überschritten. Es bleibt alles schön und brav überschaubar. Die Autorin macht es der Leserin leicht, sich in Kati hineinzuversetzen. An manchen Stellen würde frau aber sicher anders reagieren als Kati. Möglicherweise stecken hier die Überraschungsmomente, die es einem erleichtern, das Buch dauerhaft in Händen zu halten bis Seite 320 erreicht ist.

Normalerweise benote ich am Ende meiner Rezensionen die Bücher. In diesem Fall will ich eine Ausnahme machen. Egal, welche Kriterien ich ansetzen würde, sie würden dem Buch und der Autorin nicht gerecht. Sicher, einem Mann würde ich die Lektüre nur sehr bedingt empfehlen. Wie schwer es mir fallen würde, mich in die Zielgruppe hineinzuversetzen, habe ich weiter oben schon geschrieben. Also nur soviel: Mich hat die Lektüre nicht gelangweilt, die lustigen Passagen haben sogar mich zum Schmunzeln gebracht.

Web: www.andrea-hackenberg.de
Die Autorin Andrea Hackenberg auf Facebook

Andrea Hackenberg, Abgeferkelt, 2012, Knaur, 320 Seiten

Flattr this!

Gelesen 22: Totentanz

Zwischendrin muss es auch mal wieder ein Buch zur Entspannung sein. Die Laurenti-Krimis von Veit Heinichen bilden eine Reihe, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Diesmal habe ich mir den fünften Fall des Ermittlers aus Triest vorgenommen: „Totentanz“.

Lange vor der Lektüre habe ich die Verfilmung dieses Teils im Fernsehen geschaut – und tatsächlich habe dies zum ersten Mal als störend und abträglich empfunden. Zu stark waren meine vorgefertigten Bilder im Kopf. Und dann weicht das Drehbuch auch noch erheblich von der Vorlage ab. Das ist ja grundsätzlich kein Problem. Allerdings hat es mich hier ganz stark gestört.

Die TV-Filme mit Henry Hübchen in der Hauptrolle sind durchweg hervorragend gelungen – leider hat sich die ARD wegen Erfolglosigkeit gegen eine Fortsetzung entschieden. Auch die Bücher sind großartig – und das mag auch für „Totentanz“ gelten.

Wieder einmal befindet sich Proteo Laurenti darin im Clinch mit den Drakic-Geschwistern. Im Vergleich zu den anderen Büchern geht es in dieser Folge allerdings wahrhaftig um Leben und Tod. Über eine sehr gewagte Wendung steigert sich das Buch zu einem Finale Furioso. Die Umsetzung ist sehr gut gelungen – das gilt auch für die Umsetzung im Film. Diese ist zwar ein wenig anders, passt aber trotzdem sehr gut.

Bei allen lobenden Worten: Ich bin in die Lektüre nicht so entspannt hineingekommen, wie ich mir das gewünscht hätte. Die Bilder im Kopf waren zu stark. Die Enttäuschungen durch die Dissonanzen zu groß. Ist vielleicht ungerecht, allerdings sind für „Totentanz“ nicht mehr als 6 von 10 Punkten drin.

Veit Heinichen, Totentanz, 2009 (Taschenbuchausgabe), dtv, 320 Seiten

Flattr this!

Gelesen 21: Social Media im Kulturmanagement

socmedia kulturWer notorisch an Geldmangel leidet ist und kaum Mittel für Marketingmaßnahmen zur Verfügung hat, hat es in heutiger Zeit deutlich einfacher als noch vor einigen Jahren. Social Media ist das Stichwort. Eigentlich war es noch nie so einfach, einen Buzz für seine Sache zu erzeugen wie in Zeiten von Facebook, Twitter, Soundcloud und Co.

NGOs aber auch Kultureinrichtungen haben entsprechend einen großen Bedarf an Know-how-Transfer. Denn: Die Zugangshürde in die Welt sozialer Netzwerke ist vielleicht niedrig – doch die Social-Media-Klaviatur erfolgreich beherrschen, will gekonnt sein.

Einen sehr wichtigen Beitrag für den erfolgversprechenden Einsatz von Social Media im Kulturmanagement hat die zweite Start Conference im vergangenen Jahr in Duisburg geleistet. Und die Fortsetzung erfährt sie nun in Form eines Tagungsbandes, der im mitp Verlag erschienen ist.

„Social Media im Kulturmangement“, herausgegeben von Karin Janner, Christian Holst und Axel Kopp, ist die perfekte Einstiegsliteratur für alle, die für ihre Kultureinrichtung oder kulturelle Veranstaltung Social Media-Aktivitäten starten wollen. Vor allem die praktischen Grundlagen und die Fallbeispiele aus der Praxis geben einen schönen Überblick über die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Blogs, bewertungsportalen, Facebook und Twitter ergeben. Das Buch ist sehr klar und gut strukturiert. Allenfalls die theoretischen Grundlagen stellen sich als etwas zäher Lesestoff heraus.

Die Spannbreite der Fallbeispiele ist sehr weit. Von sehr einfachen und zeitbudgetfreundlichen Lösungen bis hin zum professionellen, intensiveren Ansatz ist alles vertreten. Sehr spannend ist das Kapitel über Crowdfunding. Selbst Social Media-Experten können hier noch einiges über die Möglichkeiten lernen, wie man viele für die Finanzierung von Kulturprojekten gewinnen kann.

Wer sich selbst noch als Rookie im Bereich Social Media betrachtet, kann auch unabhängig von dem spitzen Thema eine Menge aus der Lektüre herausziehen. „Social Media im Kulturmangement“ bekommt von mir 8 von 10 möglichen Punkten. Abstriche gibt es für den etwas zu ausführlichen und zähen theoretischen Teil (allerdings hat auch er absolut seine Berechtigung, dieser Aspekt gehört in ein solches Buch).

Karin Janner, Christian Holst, Axel Kopp, Social Media im Kulturmanagement, 2011, mitp, 456 Seiten, 29,95 Euro

Ich habe eine Kulturliste auf Twitter. Vielleicht mag ja jemand dieser Liste folgen 😉

Flattr this!

Gelesen 20: The Story of Stuff

Cover von "The Story of Stuff"Es gibt einfach Bücher, die hinterlassen ein ganz schlechtes Gefühl. Manche Bücher strapazieren die Nerven des Lesers während der Lektüre aufs Äußerste. Manche Bücher sind einfach nur anstrengend und gnadenlos. „The Story of Stuff“ von Annie Leonard ist so ein Buch. Einschränkend muss ich sagen, dass die erste Aussage nicht so ganz richtig ist – und damit wird das Werk mit dem Untertitel „Wie wir die Erde zumüllen“ zu einem ganz wertvollen Sachbuch.

Ja, wir verschwenden Ressourcen. Ja, wir produzieren zu viel Müll. Ja, die Globalisierung hat ihre ganz miesen Seiten. Ja, unsere Wirtschaft ist auf Konsum ausgelegt. Ja, die Werbung hat ihre Schattenseiten. Man hat kaum eine Möglichkeit einmal durchzuatmen. Die 400 Seiten sind dicht gepackt mit Fakten, Daten und Beispielen. Immer wieder deutet die Autorin an, dass es auch Hoffnungsschimmer gibt. Es gibt einen Ausweg. Die Erde muss nicht bis aufs Letzte ausgebeutet werden, Konsum allein macht nicht glücklich.

Annie Leonard zeichnet den Weg der Wertstoffe und Giftstoffe anhand einer Kette von Rohstoffgewinnung über Produktion, Distribution und Konsum bis hin zur Entsorgung nach. Bekannt wurde die Expertin Umwelt und Gesundheitsfragen durch den Internet-Film „The Story of Stuff“, der auch die Grundlage für dieses sehr amerikanische Buch bildet. Der US-Fokus wird allerdings geschickt durch zahlreiche Beispiele und Zahlen aus Europa und vor allem Deutschland ergänzt. Dabei wird auch immer wieder deutlich, dass die Kulturen sich klar unterscheiden – was aber nichts daran ändert, dass die Welt zugemüllt wird, Giftstoffe freigesetzt werden und die Konsumgesellschaft mit ihren geplanten Obsoleszenzen vor allem im Elektronikbereich nicht nur ein Segen ist.

Sehr deutlich arbeitet sie die globalen Zusammenhänge heraus. Sie zeigt, warum die Preise für Produkte niedrig sein können, wenn man Kosten externalisiert. Die Umweltverschmutzung findet mehr und mehr in der kaum entwickelten Welt statt. Und von dieser Verschiebung profitieren die entwickelten Staaten – zumindest kurzfristig.

Bei aller bedrückender Darstellung bekommt die Autorin am Schluss sehr gut die Kurve, um den Leser nicht hilflos und suizidgefährdet aus dem Buch zu entlassen. Sie zeigt am Ende, inwieweit auf politischer Ebene Einfluss genommen werden kann. Und schließlich gibt sie Tipps dafür, wie man in seinem persönlichen Umfeld dazu beitragen kann, dass ein Kollabieren der Erde am Schluss vielleicht doch noch abgewendet werden kann.

„The Story of Stuff“ erhält 8 von 10 möglichen Punkten. Abstriche gibt es für den Anstrengungsgrad und die etwas langatmigeren Passagen. Das Buch verändert. Im Bekannten- und Kolleginnenkreis habe ich davon erzählt – und es werden demnächst einige von ihnen lesen. Verhaltensänderungen haben sie sogar schon nach meinen Darstellungen und der ersten Beschäftigung mit diesem Thema angekündigt.

Annie Leonard, The Story of Stuff, 2010, Econ, 400 Seiten 18 Euro. In Kürze (15.4.2011) erscheint der Titel auch als Taschenbuch bei Ullstein für 9,99 Euro.

Flattr this!

Gelesen 19: Die Intelligenz des Schwarms

Peter Miller Die Intelligenz des Schwarms
Peter Miller Die Intelligenz des Schwarms

„In jedem Falle dienen wir der Gruppe am besten, wenn wir uns selbst treu bleiben.“ Diese Zitat aus dem Buch „Die Intelligenz des Schwarms“ von Peter Miller wird bei mir über den Tag hinaus wirken. Ich bin ein großer Freund des Schwarmtheorie-Ansatzes. Ich glaube, dass es tatsächlich so etwas wie Schwarmintelligenz auch beim Menschen geben kann. Manchmal funktioniert das Ganze automatisch. Manches Mal müssen aber auch die Bedingungen geschaffen werden, um das Potenzial des Schwarms entfalten zu können.

Miller gelingt es recht gut, Phänomene aus der Tierwelt – er fokussiert vor allem auf Ameisen, Bienen und Termiten – in den Alltag und das Wirtschaftsleben zu übertragen. Einige seiner Beispiele sind allerdings nicht unbedingt zwingend. Das Nutzen der Schwarmintelligenz bei Boeing zur Entwicklung des Dreamliners ist offensichtlich ein Versuch gewesen, der nicht zum Erfolg geführt hat.

Der Autor, der für den National Geographic arbeitet, zeigt zum Teil gewollt und zum Teil ungewollt, dass Schwarmintelligenz auch zu falschen Entscheidungen einer Gruppe führt. Sehr schön sind die Beispiele von Fischschwärmen, die sich von gefakten Fischen in die Irre leiten lassen. Auch die verheerenden Auswirkungen durch überbordende Heuschreckenpopulationen sind sehr anschaulich. Manchmal vergleicht er aber auch Phänomene, die meiner Ansicht nach nicht immer zusammenpassen. Er vermengt teilweise auch Erkenntnisse der klassischen Sozialpsychologie mit den neueren Ansätzen. Dadurch gehen manchmal die klare Linie und das eigentliche Thema unter. Andererseits zeigt es, dass natürlich auch der Schwarmintelligenz viel davon enthält, was in der Wissenschaft schon unter anderen Namen auf der Agenda steht oder stand.

Ich habe in jedem Fall sehr viel über staatenbildende Insekten gelernt. Besonders beeindruckt hat mich der Tanz der Bienen, der Voraussetzung für die Entscheidung für einen bestimmten Nestbauplatz ist.

„Die Intelligenz des Schwarms“ bekommt von mir 7 von 10 Punkten. Das Buch ist in jedem Fall unterhaltsam und lehrreich. Wer allerdings erwartet, konkrete Handlungsanweisungen für Alltag und Beruf zu erhalten wird enttäuscht sein. Ich habe übrigens die Variante der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt gelesen. Es handelt sich um eine Lizenzausgabe des Buches aus dem Campus Verlag.

Peter Miller, Die Intelligenz des Schwarms, 2010, WBG, 271 Seiten, 15,90 Euro (Das Original aus dem Campus Verlag kostet 19,90 Euro)

Flattr this!

Gelesen 18: Porträtfotografie Style Guide

Porträtfotografie Styleguide
Porträtfotografie Style Guide

Das Fotografieren von Menschen – allein oder in ihrer Umwelt – ist die Königsklasse der Fotografie. In der Porträtfotografie geht es immer auch um die Beziehung von Fotograf und Model – um Kommunikation. Und das Foto ist schließlich das Ergebnis dieses Zusammenspiels. Wer als ambitionierter Fotograf Menschen nicht nur einfach ablichten möchte, sondern wirklich gute oder gar perfekte Porträts machen möchte, muss erfahrenen Fotografen (nicht unbedingt Profis) über die Schulter und auf die Displays schauen oder das eine oder andere Buch studieren.

Mit dem „Porträtfotografie Style Guide“ von Peter Travers und James Cheadle aus dem mitp Verlag ist jetzt ein Rezeptbuch erschienen, das verschiedene Porträtstile vorstellt und für insgesamt 60 Porträts beschreibt, wie sie entstanden sind, welche Bedingungen herrschten und welche Einstellungen an der Kamera vorgenommen wurden. 3D-Skizzen geben den Set-Aufbau wieder.

Das Buch ist in der Edition Profifoto erschienen. Das macht auch den Anspruch deutlich. Es können durchaus auch Profis noch etwas lernen – vor allem hinsichtlich des Themas Beleuchtung. Cheadle arbeitet gern mit Kunstlicht. Neben seinen Fotos sind u.a. auch Bilder von Bronia Stewart, Daniel Milnor, Ben Brain und Joe Giron vertreten – dann kommt auch mal die Freunde von Available Light zu ihrem Recht. Ambitionierte Hobby-Fotografen, die bereits über eine kleine Studioausrüstung (Blitzanlage, Leuchten und Hintergünde) verfügen oder bereit sind, sich in ein Studio einzumieten, finden in diesem Buch reichlich Inspiration. Eins-zu-eins kann man die Vorgaben dennoch nicht übernehmen, da die konkrete Einstellung von Blitzen und Leuchten nicht verraten wird. Das muss dann jeder individuell ausprobieren.

portraet23
Eine Doppelseite aus dem Buch Porträtfotografie Style Guide, Thema Fashion.

Die Fotos zeigen mehr oder weniger prominente Menschen. Es handelt sich in der Regel um konkrete Auftragsarbeiten. Obwohl die Texte sehr knapp gehalten sind, werden interessante Details zu den Bedingungen offen gelegt. Das bringt einem näher, wie es sich anfühlt, wenn man als Profi-Fotograf unterwegs ist. Cheadle vermittelt recht gut, wie er seine Erfahrung einsetzt und trotz aller widrigen Umstände zu einem perfekten Ergebnis kommt. Davon kann man auch als Hobby-Fotograf profitieren.

Den Abschluss des Buches bilden dann noch einige How-to-Kapitel, in denen es um Themen wie Belichtung, Schärfe, Messung, Studiobeleuchtung und auch die Auftragsvergabe geht. Einige Worte werden auch noch hinsichtlich der optimalen Ausrüstung verloren. Auch in den abschließenden Kapiteln sind die Texte kurz gehalten. Das führt dazu, dass es inhaltlich etwas oberflächlich bleibt.

Eine Doppelseite aus dem Buch Porträtfotografie Styleguide, Thema Fashion.
Eine Doppelseite aus dem Buch Porträtfotografie Style Guide, Thema Klassik.

„Porträtfotografie Style Guide“ von Peter Travers und James Cheadle bekommt von mir 8 von 10 möglichen Punkten. Manchmal wären etwas konkretere Informationen einfach doch noch besser für ein Rezeptbuch. Dennoch wird ein Füllhorn an Inspiration über den Leser des Buches ausgeschüttet. Anregungen zum Ausprobieren gibt es reichlich.

Peter Travers und James Cheadle, Porträtfotografie Style Guide – Rezepte für professionelle Porträt-Techniken, 2011, mitp, 176 Seiten, 34,95 Euro

Flattr this!

Gelesen 17

Dieter Moor: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Dieter Moor: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Eine Liebeserklärung an Brandenburg, das platte Land, die Provinz. Das ist das Buch „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht – Geschichten aus der arschlochfreien Zone“ von Dieter Moor, sagen wir einmal bekannt aus Film und Fernsehen.

Moor nimmt den Leser mit auf die Reise nach Amerika, in ein Dorf im Brandenburgischen. Dorthin zieht er mit Frau und Viechern. Er lässt die schweizerische Modelleisenbahn-Landschaft inklusive des zu klein gewordenen Hofes hinter sich. Auch der kleine Schweizer in ihm wird im Verlauf des Buches immer leiser.

Am Anfang dachte ich noch: Eigentlich handelt es sich um ein Buch, das kein Mensch wirklich braucht. Da erzählt einer, den noch nicht einmal wahnsinnig viele Menschen kennen dürften, von seinem Umzug und dem Beginn eines neuen Lebens – relativ – fern der Heimat. Aber eben nicht in New York, Sydney, Tokio oder Hongkong, sondern in einem 200-Seelen-Nest im Osten Deutschlands.

Nach anfänglichen Bedenken nimmt das Buch aber recht schnell und ordentlich Fahrt auf. Dieter Moor hat zwar bisher noch kein Buch geschrieben. Wer allerdings seine pointierte und wortgewandte Art aus dem Fernsehen kennt, kann erahnen, dass die Kombination funktionieren muss. Ich schätze ihn schon seit „Canale Grande“-Tagen. So híeß das einzige wirklich großartige Medienmagazin im deutschen Fernsehen, was leider auf Vox sein Dasein fristen musste und so einer breiteren Seherschaft verborgen blieb. Jetzt moderiert er „Titel, Thesen, Temperamente“ in der ARD in Tagesrandlage.

Dieter und Sonja Moor verdingen sich unter anderem als Biobauern. Zuerst werden sie von den Ureinwohnern Amerikas noch skeptisch beäugt. Schnell aber zollen sie den Neuankömmlingen Respekt. Davor liegt aber ein Zeit des Hoffens und Bangens, dass sich die ersten Eindrücke nur nicht bestätigen werden. Moors Frau Sonja hat den Hof selbstständig ausgesucht – und zuerst sieht alles nach einem katastrophalen Fehlkauf aus. Nach und nach bauen beide Seiten – Zugezogene und Einheimische – ihre Vorurteile ab. Gemeinsam gehen sie in eine rosige Zukunft voller Hilfsbereitschaft und Vertrauen.

Besonders hängen geblieben sind die Episoden rund um das Fällen einer Tanne auf dem Grundstück in Gebäudenähe und die Story, als Moor mit seinen neuen Freunden Neonazis vom Feuerwehrfest vertreiben.

„Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht – Geschichten aus der arschlochfreien Zone“ ist ein wunderbar kurzweiliges und mit viel Wortwitz durchsetztes Buch. Absolute Leseempfehlung. 8 von 10 Punkten hat es allemal verdient – an zwei oder drei Stellen sind mir Charakterisierung von Typen und die Schilderung bestimmter Ereignisse zu ausführlich geraten.

Dieter Moor, Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht – Geschichten aus der arschlochfreien Zone, 2009, RoRoRo, 304 Seiten, 8,95 Euro

Flattr this!