Gelesen 25: Schluss mit der Sozialromantik!

Andreas Müller: Schluss mit der Sozialromantik! aus dem Herder Verlag

Andreas Müller: Schluss mit der Sozialromantik! aus dem Herder Verlag

Andreas Müller wurde auch schonmal als „Richter Gnadenlos“ bezeichnet. Müller ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin und ist aus Funk und Fernsehen und natürlich auch aus anderen Medien bekannt. Die Medien holen dann oft spektakuläre Urteile aus der Kiste, um zu zeigen, wie ungewöhnlich und für manche auch hart Müller im Tagesgeschäft zu Werke geht.

In diesem Buch nun stellt Müller seine Sicht auf die Justiz und die Rechtsprechung in Deutschland in konzentrierter Form vor. Wer seine Auftritte aus dem Fernsehen kennt, weiß schon viel über ihn und seine Einstellung. Jetzt liegt seine Meinungen und Ansichten in dem Buch „Schluss mit der Sozialromantik!“ auch in gedruckter Form vor.

Überraschend für mich: Müller geht sowohl mit der linken wie auch der konservativen Sozialromantik hart ins Gericht. Die linke Sozialromantik, Arrest und Gefängnisstrafen sind als Erziehungsinstrument ungeeignet, und die Täter sind auch nur Opfer der Umstände (Famile, Gesellschaft usw.) um die wir uns besonders kümmern müssen, ist mir bekannt. Entsprechend habe ich mit einer Abrechnung in diese Richtung gerechnet. Konservative Sozialromantik besteht laut Müller vor allem aus dem Wunsch, das Strafmaß zu erhöhen also die Haftstrafen für einzelne Delikte deutlich zu verlängern, und damit die Abschreckungswirkung zu verstärken und so Jugendliche davon abzubringen, Straftaten zu begehen.

Müller kann mit zahlreichen Beispielen aus seiner Praxis und seiner vorhandenen Erfahrungen zeigen, dass beide Einstellungen in ihrer Reinform absolute Sackgassen darstellen. Er entwickelt seine Vorstellung einer besseren Welt, die nur herbeizuführen ist, wenn sich in der Rechtssprechung einiges ändert. Er prangert strukturelle Hindernisse ebenso wie interessengeleitete politische Fehlentscheidungen im Justizbereich an. Er entwickelt seine Idee eines Erziehungsrichters und erläutert die Auswirkungen auf die Jugendlichen und deren Entwicklung. Ganz wichtig ist ihm auch die Opferperspektive, die ihm bisweilen in der Gerichtsbarkeit zu kurz kommt.

Müller ist eine Idealist – und das gefällt mir in diesem Rechtsumfeld sehr gut. Er gibt in dem Buch vieles von sich preis und zeigt so in herausragender Weise, wie stark die eigene Biographie schließlich auch die professionelle Haltung prägt. Der Titel hat etwas von Basta-Rhetorik. Positiv überrascht war ich dann, dass es in diesem Buch sehr sachlich und bedacht und damit auch argumentativ überzeugend zugeht. Die Lektüre ist in jedem Fall bereichernd und gerade die Sozialromantiker beider Seiten sollte den Mut aufbringen, dieses Buch zu lesen. Die Horizonterweiterung kann gelingen. Müller trifft einfach den richtigen Ton. Wenn ihm das in seinem beruflichen Alltag ebenso gelingt, dann ist er wahrlich ein guter Richter.

Andreas Müller, Schluss mit der Sozialromantik! – Ein Jugendrichter zieht Bilanz, 2013, Herder, 240 Seiten, 16,99 Euro

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