Von der Auflösung der Zeitungsbücher

Wenn wir jammern, dann auf einem hohen Niveau – das ist richtig. Und das „wir“ schließt mich eindeutig ein. Dennoch kann ich nicht aufhören, mir um den Journalismus und dessen Zukunft – und damit auch meiner beruflichen wie privaten Zukunft – Sorgen zu machen.

Vergangene Woche habe ich mit ehemaligen Kollegen vom Darmstädter Echo zusammengesessen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, das Gespräch einmal kurz in Richtung Lokaljournalismus und Qualitätsjournalismus sowie die Zukunft der klassischen Medien in einer sich rasch verändernden Informations-, Wissens- und Kommunikationsgesellschaft zu drehen.

Die zwei Kollegen (Er, Anfang 40, Sie, Anfang 60) haben mich mit ihren Aussagen zum Nachdenken gebracht. Während die Kollegin betonte, der ganze Wandel inkl. dem Schwund von Lesern und Abonnenten sei bei weitem nicht so katastrophal, wie es gerne (auch von mir) beschrieben wird. Die Arbeitsbedingungen seien den Umständen entsprechend noch immer sehr gut.

Der Kollege hat die Situation etwas anders beurteilt. Er bedauert, dass der Redaktionsalltag mit unter anderem dem Redigieren von Fremdtexten immer weniger Freiräume für eigene Geschichten lässt. Der Personalnotstand schlägt also unerbittlich zu. Gerade eigene Geschichten wären es ja, die eine Zeitung von einer anderen unterscheidet. Vielleicht wären diese Geschichten jene, die auch die Erosion bei den Abonnentenzahlen stoppen könnte. Mehr Personalisierung, mehr Meinung, mehr Nähe zum Leser, mehr Exklusivgeschichten, mehr Profil: Das sind meiner Meinung nach einige der Zutaten eines Erfolgsrezeptes. Tatsächlich sind die Verleger da auf einem anderen Trip. Jetzt ist ja beispielsweise bekannt geworden, dass bei der Münchner Abendzeitung 22 von 80 Mitarbeitern aus der Redaktion gehen müssen. Bei gleich bleibender Qualität?

Die Kollegin hat noch etwas anderes Interessantes gesagt. Sie sprach davon, dass die Redaktion selbst, also eigentlich die Redakteure definieren, was sie unter Qualität verstehen. Da dürfe man nicht zu sehr den Leser im Blick haben. Das Niveau gerate da leicht in Gefahr. Ein schöner idealistischer Ansatz. Nur: Inwieweit ist ein solcher, nennen wir ihn einmal anspruchsvollen, Journalismus auf Lokal- und Regionalebene refinanzierbar? Auch dieser Spagat wird aus meiner Sicht immer schwieriger. Die Leserschaft ist einfach zu heterogen, um sich entweder nur auf Intellektuellen- oder nur auf Boulevardjournalismus zu konzentrieren.

Es braucht nicht nur im Netz eine konkrete Ansprache der Zielgruppe. Zur Not muss man dort mehrere Produkte anbieten, um alle potenziellen Nutzer abzufangen. Vielleicht ist es in Print ganz genauso. Insofern ist der Ansatz vieler Verlage mit ihren – nennen wir es einmal – Line-Extensions möglicherweise doch nicht ganz falsch.

Ein regionale Tageszeitung muss künftig vielleicht in mehrere Produkte zerschlagen werden. In enger Abstimmung mit den Aktivitäten im Netz braucht es vielleicht nur zwei Ausgaben pro Woche mit Lesegeschichten und ordentlich recherchierten Storys. Täglich können dann eher die bunteren Themen abgefeiert werden. Ergänzt um einen schlanken Bereich, der sich mit überregionalen Dingen befasst. Zwei Sportausgaben pro Woche wären wahrscheinlich auch ausreichend. Die Kultur wäre außer einem nachrichtlichen Part in der schmalen Tagesausgabe auch mit einer wöchentlichen Variante gut bedient. Das sind jetzt einmal erste Gedanken für eine Neuaufstellung einer klassischen Tageszeitung. Die Redaktionen müssten sich an einen anderen Rhythmus gewöhnen. Ich glaube aber: Es gäbe dann mehr Zeit für eigene Geschichten, mehr Meinung und mehr Profil. Von den Entscheidern wird Mut verlangt – heute mehr denn je.

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Die Transformation

Die Hiobsbotschaften aus der Medienwelt haben noch immer Konjunktur. Jetzt hat erneut die Süddeutsche Zeitung angekündigt, Redakteure entlassen zu wollen. Die Medienkrise ist echt.

Die gesellschaftliche und mediale Transformation ist in vollem Gange. Das Nachrichten-, Informations- und Kommunikationsmonopol der klassichen Medien mit ihrem Sender-Empfänger-Modell ist am Ende. Die massenhafte Informationsverbreitung ist demokratisiert.

Interessant ist im Moment die Diskussion um Qualitätsjournalismus auf regionaler bzw. lokaler Ebene. Blogger mit journalistischem Anspruch und journalistischem Background versuchen die Lücken zu füllen, die die Regionalzeitungen an vielen Orten der Republik gerissen haben. Die herkömmliche Form des Journalismus auf dieser Ebene ist bald nicht mehr finanzierbar – in vielen Fällen ist es schon heute soweit.

Das merken die Medienmanager und versuchen, ihre Konkurrenz im Netz klein zu halten und schlecht zu reden. Das allerdings wird die Verlage von Lokal- und Regionalzeitungen nicht retten. Eine intensive Auseinandersetzung mit der neuen Situation, dem neuen Nutzerverhalten und den neuen Angeboten im Netz und darüber hinaus ist notwendig. Zu oft herrschen Angst und Mutlosigkeit bei den Medienmanagern vor.

Zum Glück gibt es positive Beispiele. Diese will ich künftig an dieser Stelle im einzelnen vorstellen. Wenn einer der Leser weitere Beispiele aus seiner Region kennt oder selber ein Protagonist in diesem Feld ist, möge er sich doch bitte melden.

Sehr umtriebig ist in diesem Zusammenhang der Südkurier aus Konstanz. Jetzt ist das Medienhaus mit einer iPhone-Applikation gestartet, die sich durch einen absolut richtigen Ansatz auszeichnet. Der Südkurier bekennt sich hier klar zur Region, zu seinem gesamten Verbreitungsgebiet bis in den kleinsten Winkel. Ganz vorne stehen die Meldungen aus der Region. Das ist das wichtigste Asset einer Lokalzeitung. Dort muss sie gut sein und Präsenz zeigen, auf allen Kanälen. Ein Ausdünnen der Redaktionen auf dem platten Land ist der Anfang von Ende.

Beim Start der App kann die Ortung gestartet werden. Es kann aber auch manuell festgelegt werden, für welche Kommune man sich besonders interessiert. Ein Branchenverzeichnis berücksichtigt den eigenen Standort. Wer beispielsweise nach einem Elektronikmarkt sucht, der kann sich auch die Route berechnen lassen. Übrige Nachrichten, die sonst auch jeder hat, und sich die Nutzer in der Regel von anderen Quellen ziehen, treten klar in den Hintergrund.

Wie groß der wirtschaftliche Erfolg einer solchen Geschichte ist, vermag ich jetzt noch nicht zu beurteilen. Tatsache ist aber: Wer sich mit neuen Angeboten für das Netz oder mobile Endgeräte beschäftigt, bekommt einen anderen Blick auf die Dinge, die man schon seit Ewigkeiten betreibt. Die Transformation kann von dem Besitzstand nicht ferngehalten werden. Die Transformation findet statt, selbst wenn man denkt, man müsse nicht daran teilnehmen.

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Spaß beim Lesen

Heute hatte ich wieder einmal richtig Spaß beim Lesen „meiner“ Zeitung (ich habe sie übrigens im Zeitungsladen gekauft). Der Darmstädter-Echo-Chefredakteur persönlich hat für die Sonntagsbeilage über das Forum Lokaljournalismus in Dortmund in die Tasten gegriffen. Das Ergebnis: Ein überheblicher und ignoranter Aufsatz über die Zukunft des Lokaljournalismus, die künftige Rolle der Lokalzeitungen, das Verhältnis von Print und Online, das Mitmach-Internet, den Bürgerjournalismus und das Ende der Blog-Ära. Der Titel: „Stochern im Nebel 4.0“

Als erstes fällt in diesem Text, aber eigentlich auch allgemein, auf, dass sich Chefredakteure immer häufiger mit der Re-Finanzierbarkeit von Journalismus beschäftigen. Das ist eigentlich klassisch das Geschäft des Verlegers. Im gleichen Atemzug wird von Qualitätsjournalismus gesprochen – das ist leider oft ein Widerspruch in sich selbst. Die Unabhängigkeit einer Redaktion garantiert Qualitätsjournalismus. Das Argument der Re-Finanzierbarkeit für das Erstellen von Medieninhalten und die Aggregation von Content macht unglaubwürdig.

Chefredakteur Jörg Riebartsch betont, dass die Teilnehmer des Kongresses neidisch nach Südhessen blicken, weil man es hier geschafft hat, re-finanzierbare Printprodukte zu lancieren. Als Beispiel führt er das einmal im Monat dem Echo beigelegte Kinderheft und das alle zwei Monate erscheinende Wirtschaftsecho, mit dem auch Vertriebserlöse erzielt werden, an. Die Eigen-PR kommt an dieser Stelle sehr unglaubwürdig rüber. Dass sich die Objekte wirklich rechnen, legt er öffentlich nicht dar. Und ich glaube, dass bei einer Vollkostenrechnung die Bilanz nicht positiv sein dürfte. Die Verlage versuchen, Line Extensions über vorhandene personelle Bordmittel zu realisieren. Würde man die Arbeitszeit korrekt verrechnen, sähe das Ganze schon anders aus. So lange aber die Mitarbeiter tendenziell zur Selbstausbeutung neigen, geht es eben noch gut.

Zweiter Punkt an dieser Stelle: Die Einsparmaßnahmen beim Medienhaus Südhessen sind vielfältig. So wurde schon vor vielen Jahren die Foto-Redaktion abgeschafft. In den Lokalredaktionen arbeiten mittlerweile auch weniger Redakteure als noch vor einigen Jahren. Es werden auf Gedeih und Verderb Volontäre beschäftigt, die oft nur wenig Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung haben, aber zur Selbstausbeutung neigen. Die Schließung der Druckerei am Hauptsitz mit der einhergehenden Kündigung aller Mitarbeiter, die teilweise zu schlechteren Konditionen in dem neu entstehenden Druckzentrum, das gemeinsam mit Konkurrent Rhein-Main-Presse in Rüsselsheim gebaut wird, anheuern dürfen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die von allen beneideten Print-Produkte auch nicht helfen, die Erosion zu stoppen. Die Auflagenzahlen gehen zurück. Die Abonennten sterben weg. Es fehlt an jungen Lesern. Die im Echo erscheinenden Stellenangebote lassen sich an wenigen Händen abzählen. Der Kleinanzeigenmarkt schwächelt auch. Die Erfolgsbilanz des wirtschaftlich denkenden Chefredakteurs und seines Vorgängers ist jetzt auch nicht so beeindruckend.

Das ist nun nur die eine Seite der Medaille und dieses denkwürdigen Aufsatzes. Den Löwenanteil nimmt eine Generalabrechnung mit den Aktivitäten der anderen Verlage im Internet ein. Ein Zitat: „Verunsichert, ob teuer bezahlter Journalismus überhaupt noch eine Zukunft hat, mühen sich viele Chefredakteure und Redaktionsleiter im Internet mit Blogs ab und twittern – plappern wäre die korrektere Bezeichnung – munter die Kanäle im weltweiten Web voll.“ Ich finde, das ist harter Tobak. Eigentlich ist das niveaulos für einen Chefredakteur. Der ganze Text strotzt nur so vor abqualifizierenden Äußerungen. Die Wertschätzung für die Arbeit der Kollegen nähert sich Satz für Satz dem Nullpunkt. Mich würde einmal interessieren, wie das die Angesprochenen sehen. Vielleicht liest diese Zeilen ja jemand. Deutliche Kommentare würden mich freuen.

Ganz nebenbei beerdigt Riebartsch mit der virtuellen Welt „Second Life“ auch die Blogs. Alles Dinge, die einmal kommen und schnell wieder verschwinden. So wäre es den konservativen Medienmanagern am liebsten. Tatsache ist, dass man gerade beim Darmstädter Echo Entwicklungen im Netz massiv verschlafen hat. Nach dem ernsthaften Start mit einem medienadäquaten Angebot im Internet hat es über zehn Jahre gedauert, bis man sich zu einem Relaunch durchringen konnte. Das Internet hatte beim Echo noch nie eine Chance – und das wird nach diesem Aufsatz auch so bleiben. Dann muss man sich die Frage stellen, welche Chance das Medienhaus überhaupt hat.

Riebartsch hat Angst vor dem Bürgerjournalisten. Und tatsächlich ist es ja auch so, dass Qualität dauerhaft eine Rolle bei der Verbreitung von Inhalten im Internet spielen muss. Wer sich aber so verhält, wird eben bald keine Relevanz mehr haben, weil man weder die Person noch das Medium mehr ernst nehmen kann – dann kann auch die Rolle nicht mehr gespielt werden, Dinge einzuordnen und der Wahrheit möglichst nah auf den Pelz zu rücken. Die Aktivitäten von Leuten wie Christian Lindner (@RZChefredakteur), einem der Chefredakteure der Rhein-Zeitung, tragen maßgeblich dazu bei, dass der Wert der Medienmarke Rhein-Zeitung sukzessive steigt. Personalisierung war und ist ein wesentliches Element der Leser-Blatt-Bindung. Mit Verlaub: In keiner Zeitung schreibt der Chefredakteur weniger Leitartikel als beim Darmstädter Echo. Das war aber auch schon vor 20 Jahren so, vor der Riebartsch-Ära.

Social Media ist aus Sicht von Riebartsch auch Firlefanz. Noch ein Zitat: „Richtig ist sicher, dass viele große Zeitungen so weit weg von ihren Leserinnen und Lesern sind, dass es für sie offenbar eine neue Erkenntnis ist, es sei wohl doch hilfreicher nahe am Leser dran zu sein. Kontakte in Facebook mögen da ein Hilfsmittel sein zu erfahren, was die Kundschaft, in dem Fall die Leser, wünschen. Ansonsten hilft auch einfach das gute alte persönliche Gespräch.“ Na, da scheint ja das Echo ganz weit vorn zu sein, beim Thema Lesernähe. Das kann ich leider ganz und gar nicht bestätigen. Immerhin: Eine Veränderung gab es mit Riebartsch: Das Echo veranstaltet Podiumsdiskussionen zu lokalpolitischen Themen und er oder ein Ressortleiter moderieren sie. Das ist schon mal etwas. Aber erfunden hat das Medienhaus Darmstadt diese Veranstaltungsform auch nicht.

Es ist absolut richtig, das ganze Geschehen im Netz zu beobachten und zu analysieren und die Schwächen aufzudecken. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Allerdings Nestbeschmutzung und Publikumsbeschimpfung in einem Beitrag in einer Zeitung zusammenzubringen, das empfinde ich als starkes Stück. Wenn Jörg Riebartsch und andere gleichdenkende Chefredakteure sowie Medienmanager zeigen können, dass ihre Strategie erfolgreich ist und die Lokalzeitung auch nach deren Ära noch lebt, dann sollte mich das sehr wundern. Schade eigentlich, wenn die Lokalzeitungen ihre Bedeutung und Relevanz verlieren. Eine Konstante weniger im Leben. Sie hatten aber ihre Chance.

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