Mythos Multichannel – oder vom Wahnsinn, bei Tchibo Kaffee bestellen zu wollen

Ich habe etwas total Verrücktes gemacht. Ich habe bei Tchibo etwas im Internet bestellt. Und es wird noch verrückter. Ich habe Kaffee bei Tchibo bestellt. Wenn ich das meinem Therapeuten erzähle, müssen wir zwei Jahre zurückgehen und beim Stand von damals mit dem Assoziieren beginnen. Ich habe also tatsächlich unter anderem Kaffee bei Tchibo bestellt, Wahnsinn.

 

Klar, zuerst habe ich mir gar nicht viel dabei gedacht. Ich dachte, bestell deinen neuen Porzellanfilter, deine Papierfilter und deinen Kaffee doch einfach bei Tchibo. Klar, Tchibo hat ja sonst nichts mit Kaffee sowie Distanzhandel, E-Commerce und Multichannel zu tun, insofern könnte es sich bei einer solchen Entscheidung um ein echtes Online-Abenteuer handeln, von dem ich am Ende meinen Enkeln noch in 50 Jahren erzählen werde. Ursprünglich bin ich aber wirklich ganz unbedarft an das Thema herangegangen, ehrlich.

 

Früher, also damals in der Online-Steinzeit vor vielleicht 15 Jahren oder so, habe ich schon ein paar Mal bei Tchibo online eingekauft. TCM, wer kennt die Marke noch? Und jetzt habe ich mich an die guten alten Zeiten erinnert und meinen Warenkorb voll gemacht. Ich bin sogar extra auf den Marketing-Kniff, ab 20 Euro versandkostenfreie Lieferung, eingestiegen. Okay, ein guter Kunde bin ich damit noch lange nicht. Aber ich bin ein Kunde, und somit irgendwie auch nur ein Mensch, der Waren haben möchte und dafür bereit ist, sein verdientes Geld im Tausch dafür herzugeben. Und zwar in Echtzeit. Ich habe noch nicht einmal Rechnung gewählt. Dahinter stecken nämlich so ätzende Kunden, die das Bezahlen rauszögern und lieber auf die erste Mahnung warten, bis sie denn das Geld überweisen. Ich bin eher so ein PayPal-Typ. Also habe ich mich für diese Zahlungsweise entschieden.

 

Zugegeben, die Lieferzeit von bis zu fünf Werktagen hat mir nicht so zugesagt. Aber ich war vergangene Woche noch jung, entspannt und von dem Gedanken beseelt, dass in wenigen Tagen mein Kaffee durch das kleine Loch im Porzellan-Filterhalter in die Tasse tröpfelt und einen wunderbaren Duft in der ganzen Küche verströmt.

 

Bestellung abgeschickt – und in den Vorfreude-Modus geschaltet. So muss das sein. Einkaufen im unpersönlichen Internet als Erfahrung für alle Sinne – schön.

 

Das war am 5. November. PayPal hat rasch gemeldet, dass die Bezahlung erfolgte. Wertstellung 6. November, Buchung 7. November.

 

Okay, der Versand ist wohl erfolgt, dachte ich leichtsinnigerweise. Und leichtsinnigerweise hielt ich Tchibo für ein seriöses Unternehmen mit viel Erfahrung beim Kaffeeverkauf und im Distanzhandel.

 

Ein Blick ins Kundenkonto kann nicht schaden, dachte ich mir. Oh, die Bestellung steht auf „In Bearbeitung, Zahlung noch nicht erfolgt“. Das war schon einmal interessant. Welches Tchibo hat denn da schon mein PayPal- und mein Kreditkartenkonto belastet? Ich kenne das eigentlich so, dass die Faktura beim Versand angestoßen wird. Das klingt für mich sauber. Ist so wie im Laden, offline. Ich gehe durch den Checkout, vulgo Kasse, überführe die Ware aus dem Bestand des Ladens in meinen Bestand und in diesem Moment findet auch die monetäre Transaktion statt. Jetzt habe ich gelernt, dass online erstmal die Kohle verbucht wird und dann – jetzt kommt der Hammer – überhaupt erst jemand losgeht und schaut, ob das Produkt noch auf Lager ist.

 

Gestern nämlich erreichte mich die Nachricht, dass ausgerechnet der Kaffee, den ich bestellt habe, nicht mehr lagernd ist. In der automatisierten Mail heißt es: „Unser gutes Preis-Leistungs-Verhältnis erzielen wir vor allem dadurch, dass wir unsere Produkte speziell für unsere Kunden in begrenzten Mengen fertigen lassen. Besonders beliebte Artikel sind aus diesem Grund manchmal schnell vergriffen. Es tut uns sehr leid, dass wir Ihren Bestellwunsch diesmal nicht erfüllen können.“ Entschuldigung, aber hier handelt es sich um absolut sinnfreies, automatisch erstelltes Geschwafel – kundenfeindlich bis zum Abwinken. Ich habe einen Kaffee aus dem Standard-Sortiment bestellt, der in jedem Tchibo-Depot vorrätig ist und als Never Out of Stock-Ware im Normalfall ständig nachgeschoben wird, damit die Ware auf der Fläche bloß nicht ausgeht – und damit entsprechend die Umsätze nicht ausfallen. Innerhalb von fünf Tagen wäre es ein Leichtes die Bestände von der Einzelhandelsfläche aus auch im Distributionszentrum wieder aufzufüllen. Natürlich nur dann, wenn der Kunde etwas zählt.

 

Dieser Kaffee soll kurzfristig nicht lieferbar gewesen sein.
Dieser Kaffee soll kurzfristig nicht lieferbar gewesen sein.

 

Einen Hammer habe ich noch: Selbstverständlich habe ich überprüft, ob der Webshop den Kaffee noch führt. Leute, es gibt Computer und Warenwirtschaftssysteme, ist das nicht herrlich. Hallo, Ihr Tchibo-Verantwortlichen, habt Ihr davon schon etwas gehört? Selbstverständlich ist der Kaffee noch verfügbar. Seit vielen Jahren beschäftigen sich Unternehmen damit, die besten und teuersten Software-Systeme zu testen und einzukaufen. Als ich mich intensiver mit diesen Themen rund um Unternehmenssoftware, Schwerpunkt Warenwirtschaftssysteme, auseinandergesetzt habe, ist mir schon deutlich geworden: Versprochen wird viel, gekonnt wird wenig. Aber dass es heute immer noch so katastrophal darum bestellt ist, ist mir erst heute wieder klar geworden.

 

Das Bisherige zusammengefasst: Tchibo kann kein Multichannel, die IT-Systeme sind grottig, die Geschäftsgebaren zweifelhaft.

 

Und jetzt kommt die Fortsetzung. Am Abend habe ich dann eine Mail vom Kundenservice bekommen. Sie sind verärgert, das können wir verstehen, heißt es dort. Es habe sich bei diesem Kaffee um einen kurzen Engpass gehandelt, der mittlerweile nicht mehr existiert. Der Kaffee kommt, separat. Paypal geht in einem solchen Fall aber nicht, es gibt eine Rechnung. Hallo Tchibo, meine Kreditkarte ist mit dem Gesamtbetrag belastet, obwohl Ihr selbst nicht wusstet, im Moment der Fakturierung, dass die Ware da ist. Eine Rücküberweisung ist nicht gemeldet. Eine halbe Stunde später kam dann auch die Versandbestätigung der Bestellung, ohne den Kaffee. Mal sehen, wann dieser sich auf den Weg macht, mit seiner Rechnung.

 

Wenn Ihr also mal etwas richtig Verrücktes machen wollt, dann bestellt euren Kaffee einfach bei Tchibo.

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Stationärer Handel – ein Problemfall, immer wieder

Bedarfskäufer werden vom Online-Handel bestens bedient. „Du weißt, was du willst bzw. was du brauchst, geh‘ online einkaufen.“ Das ist eine klare Formel. Ich bin Bedarfskäufer, ich bin ein Online-Shopper. Klares Bekenntnis.

Und trotzdem: Ich will dem stationären Handel immer wieder eine Chance geben. In unserem Dorf wird er sowieso unterstützt, manchmal aber auch in der City oder sogar in Einkaufstempeln, wie sie so eigentlich keiner braucht. Aber auch hier arbeiten Menschen und verdienen ihren Lebensunterhalt. Also ab ins Skyline Plaza, einen dieser Shopping-Tempel in Frankfurt, den wirklich keiner braucht.

Der Sohn hat Geburtstag, und ich könnte den Brazuca auch im Internet shoppen. Aber heute nutze ich mal meine frühe Mittagspause, um die Straßenseite zu wechseln und ein reales Einkaufserlebnis zu haben.

Totentanz im Skyline Plaza. Wenn nicht gerade zur Mittagszeit die Schlipsträger, so wie ich, und die Damen in ihren Hosenanzügen zum Mittagessen auf der Fressmeile (Foodcourt) einfallen, herrscht hier Totentanz. Das ist schon immer so.

Skyline Plaza
Das Frankfurter Skyline Plaza im Winter – gestern und heute.

Behende bewege ich mich durchs Center. Das Ziel Intersport Voswinkel. Brazuca Replika im Angebot für rund 30 Euro, sagt die Werbung. Im Netz bei anderen Anbietern gibt es ihn für 5 bis 10 Euro weniger. Was man nicht alles tut, um den stationären Handel zu unterstützen.

„Ich suche den Brazuca Replika, Größe 5.“ „Wir haben im Moment nur die Mini-Version. In dieser Woche sollen wieder welche reinkommen“, sagt der Kollege. Die Kollegin ergänzt: „Wir beten darum.“

Okay, es ist ja wirklich ein bisschen exotisch während der Fußball-WM, die Replika-Variante des offiziellen Spielballs kaufen zu wollen. Zu einem anderen Zeitpunkt gern, aber ausgerechnet jetzt.

Klar, die Nachfrage ist möglicherweise groß. Aber in Zeiten leistungsfähiger Warenwirtschaftssysteme mit der Möglichkeit automatischer Nachorder ist das schon ein Hammer. Wenn der Bestand unter ein bestimmtes Niveau fällt, wird Ware automatisch nachgezogen, um alle Umsätze, die realisierbar sind, auch zu realisieren. Ansonsten kannst du als Händler einpacken. Push ist tot, es geht um Pull. Der Kunde will die Ware, jetzt. Er kommt nicht wieder, um seinen Bedarf zu befriedigen. Dafür gibt es andere Möglichkeiten.

Es gibt Prognose-Software, Renner-Penner-Analysen, Daten ohne Ende, um Vorhersagen zu treffen. Es gibt Online-Ordersysteme für Händler von Lieferanten, um in kürzester Zeit den Kunden glücklich zu machen. Ich habe mich jahrelang mit solchen Systemen befasst. Ich kenne die Branche ein wenig. Gerade Intersport als Einkaufsverbund hat entsprechende Systeme, viel investiert. Um so mehr schockiert mich, wie wenig diese schöne neue Welt in das reale Leben eingezogen ist.

Der stationäre Handel fabuliert etwas vom Einkaufserlebnis, das so nur stationär erlebt werden kann. Dieses Einkaufserlebnis ist ein Mythos. Du wandelst durch menschenleere Konsumtempel, um in noch menschenleereren Stores nicht vernünftig versorgt zu werden. Wer braucht das? Niemand. Tolles Erlebnis.

Viele der Probleme des stationären Handels sind selbstgemacht. Gern schiebt man die Verantwortung auf die böse Welt drumherum. Der böse Online-Handel, die blöden Kunden, die kein Verständnis haben. Die Lieferanten, die nichts können.

Stationärer Handel, du bist ein Problemfall, immer wieder. Den Brazuca liefert jetzt die Post, 5 Euro habe ich auch noch gespart.

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