Alle Kanäle und vieles anders

Mich wie viele andere der Szene umtreibt die Frage, wie der Journalismus der Zukunft aussieht. Welche herkömmlichen Medien werden die Zeiten überstehen, für wen ist kein Platz mehr? Wie ändert sich die Art der Rezeption? Was wollen die Medienkonsumenten der Zukunft? Wie heißen die Meinungsführer von morgen? Welche Möglichkeiten der Refinanzierung von Informations- und Lebenshilfeangeboten wird es geben. Ist herkömmlicher Journalismus überhaupt finanzierbar? Was ist Journalismus überhaupt? Und, und, und…

Der Prognosen gibt es viele, immer wieder muss man aber auch den Status Quo in Frage stellen und seine einmal erstellte Prognose hinterfragen. Clive Thompson hat mit seinem Beitrag in der aktuellen Wired meine Gehirnzellen angeregt. Er versucht mit dem Vorurteil aufzuräumen, das Twitter-Nachrichten und Status-Updates dafür gesorgt haben, dass die neuen Leser weder dazu bereit noch in der Lage sind, sich mit tiefgehenden und ausführlichen Texten und Analysen auseinanderzusetzen.

Er zeigt, wie sich das Microblogging auf das herkömmliche Bloggen auswirkt. Früher war es wichtig, dass der Blogger am besten mehrmals täglich eher kürzere Beiträge gepostet hat. Durchaus mit analytischem, aber nicht gerade sehr tief greifendem Ansatz. Heute sei es üblich, tiefer gehende und ausrecherchierte Beiträge zu bloggen. Die Aktualität und Frequenz spiele dabei nicht die ganz große Rolle. Für die USA sieht er diesen Prozess schon recht weit fortgeschritten. Er zitiert einen anerkannten Blogger, der ganz klar sagt, das die schnelle Nachricht/Information über Twitter raus geht. Blogbeiträge entstehen nur dann, wenn er wirklich etwas zu sagen hat. Und das muss keinesfalls täglich der Fall sein.

Ich teile diese Einschätzung. Die Nutzung aller Kanäle sind der Königsweg, heute zumindest. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Tweet von Thomas Knüwer vom 5. Januar 2010 („5 neue Volontäre an einer Journalistenschule – keiner hat ein Blog, keiner ist bei Twitter. Viel Glück – Ihr werdet es verdammt nötig haben“).

Clive Thompson bringt natürlich auch das Thema Long Tail auf den Tisch. Die Nachhaltigkeit von im Internet publizierten Beiträgen ist durchaus vorhanden. Selbst ich merke mit meinen noch bescheidenen Blog-Projekten, dass bestimmte Themen ein lange Karriere haben und immer wieder alte Beiträge über Google aufgerufen werden.

Aus seiner Sicht wären die Verlierer dieser Entwicklung die Wochenmagazine wie Time und Newsweek (und natürlich die Entsprechungen auf anderen Märkten), die versuchen in kürzester Zeit mit mitteltiefgehenden Analysen auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Andere – ich meine vor allem hiesige – Stimmen sagen, dass gerade diese Medien vor allem im Vergleich zur Tageszeitung eine „rosige“ Zukunft vor sich haben. Das dachte ich bislang auch. Allerdings sind die Aussagen von Thompson wirklich stichhaltig. Abschließende Analysen sind aus dessen Sicht nicht mehr nur den Buchschreibern vorbehalten. Auch im Netz ist Tiefgang möglich – auch das sehe ich genau so.

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Halbe Zeitungswahrheiten

Kürzlich hat die IVW die Auflagenzahlen der Tageszeitungen für das zweite Quartal veröffentlicht. Die Auflagen gehen im Prinzip seit Jahren zurück, ein Bodensatz ist nicht in Sicht. Interessant ist nach der Veröffentlichung der letzten Zahlen immer, wie sich die Medien jene Zahlen heraussuchen, die ihnen am besten in den Kram passen. Die überregionalen Zeitungen hauen sich gegenseitig auf die Nasen.

Aber auch die Regionalzeitungen spielen kräftig mit beim Schönfärben. Im Darmstädter Echo vom Wochenende war zu lesen, dass die Auflagen der großen Zeitungen im Schnitt erheblich zurückgehen. In einem separaten Text darunter hieß es, dass das Echo seine Marktführerschaft in Südhessen behält.

Aha. Dort fällt kein Wort darüber, dass auch die Auflage des Echo zurückgegangen ist. Die Druckauflage am Samstag fiel in der Kernregion Darmstadt und Darmstadt-Dieburg im Vergleich zum Vorquartal von 70867 auf 70095, um einfach einmal eine Zahl zu nennen. Wenn man nun weiß, dass das Echo ein Monopol in der Kernregion hat, dann kann es nicht verwundern, wenn die Marktführerschaft erhalten wurde. Schließlich hätte schon ein Phönix aus der Asche kommen müssen, um die Nummer eins in dieser Region zu werden.

Mich stört daran, dass es gerade im Kontext mit der Meldung darüber ein offenes Wort über den Rückgang der Auflage der eigenen Zeitung sicher nicht geschadet hätte. Schließlich sind die IVW-Zahlen für jeden einsehbar. Diese Vertuschung könnte also jedem auffallen. Gerade in diesen Zeiten ist das Bedürfnis nach Ehrlichkeit von Politik, Unternehmen und Medien besonders groß. Mich wundert, dass letztere nicht über ihren eigenen Schatten springen können und mit offenen Karten ihren Leser entgegentreten. Das verlangen die Medien ja auch von Politik und Wirtschaft beispielsweise.

Und zur allgemeinen Entwicklung: Wie tief dürfen die Auflagenzahlen der einzelnen Zeitungen maximal sinken, damit noch qualitativ hochwertige Zeitungen produziert und gedruckt werden können? Oder ist in einzelnen Fällen diese Grenze bereits überschritten?

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